Gestern, am 2. Oktober 2018, fand der erste sogenannte „Trilog“ zur EU-Urheberrechtsreform statt – berüchtigt dank Leistungsschutzrecht und Uploadfiltern.

In einer Reihe nicht-öffentlicher Sitzungen werden das Europäische Parlament und der Rat (die Regierungen der Mitgliedstaaten vertretend) unter Beteiligung der Kommission einen endgültigen Text vereinbaren, der für alle drei Institutionen akzeptabel ist. Es ist die letzte Chance, Änderungen durchzusetzen bevor die Richtlinie angenommen wird. Bisher sind die Trilog-Termine bis Weihnachten angesetzt, obwohl noch unklar ist, ob der Prozess bis dahin abgeschlossen werden kann.

Angesichts des überwältigenden öffentlichen Interesses habe ich mich dazu entschieden, diesen normalerweise undurchsichtigen Prozess transparenter zu gestalten. Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass das Parlament der Öffentlichkeit nicht weiterhin den Zugang zu den Trilogdokumenten verwehren darf. Dementsprechend werde ich die Verhandlungsdokumente auf meiner Website veröffentlichen. Diese sogenannten “Vier-Spalten-Dokumente” („four column documents“) stellen jeweils die Positionen der Kommission, des Rats und des Parlaments in einer Spalte dar. Eine vierte Spalte bleibt für den letztendlichen Kompromiss.

Anfangs ist diese vierte Spalte leer (Download: Artikel (Englisch) + Erwägungsgründe (Englisch)), also vergleichen wir erst mal die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Positionen des Rats und des Parlaments und was diese in der Praxis bedeuten würden:

basierend auf Werken von Kate Ter Haar & K.G.Hawes

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Artikel 13: Uploadfilter

Der Rat möchte Das Parlament möchte
  • Das Gesetz auf Plattformen anwenden, die „große Mengen von durch Benutzer hochgeladenen Werken organisieren und bewerben“
  • Das Gesetz auf Plattformen anwenden, die „signifikante Mengen von durch Benutzer hochgeladenen Werken“ optimieren und bewerben und keine kleinen Firmen sind (Umsatz unter 10 Millionen € und weniger als 50 Angestellte)
  • Ausnahmen für Wikipedia, bildungsbezogene oder wissenschaftliche Verzeichnisse, Cloud-Speicher, Code Sharing-Plattformen die nicht-kommerziell sind, elektronische Marktplätze
  • Ausnahmen für Wikipedia, bildungsbezogene oder wissenschaftliche Verzeichnisse, Cloud-Speicher, Open Source-Code Sharing-Plattformen, elektronische Marktplätze für physische Güter
  • Plattformen sind haftbar für Urheberrechtsverletzungen durch ihre User außer…
  • Plattformen sind immer haftbar für Urheberrechtsverletzungen durch ihre User
  • …sie verwenden Uploadfilter
  • Läuft auf Uploadfilter als einzige Möglichkeit hinaus, um die eigene Haftbarkeit zumindest einzuschränken. Setzt auch explizit „Kooperation“ zwischen Plattformen und Rechteinhabern voraus, um zu verhindern, dass geschützte Werke verfügbar gemacht werden
  • Werke, für die Ausnahmen und Schranken gelten(zum Beispiel Parodie) gelten als hinreichend geschützt durch einen…
  • Werke, für die Ausnahmen und Schranken gelten(zum Beispiel Parodie) sollen online bleiben, es bleibt aber unklar, wie
  • (Verpflichtenden) nachträglichen Beschwerde-Mechanismus für fälschliches Blocken
  • Verpflichtender Beschwerde-Mechanismus mit Überprüfung durch einen Menschen; unabhängige Schlichtungsstelle
  • Durch freiwillige Industrie-Dialoge sollen Implementierungsrichtlinien entstehen
  • Durch freiwillige Industrie-Dialoge soll auf magische Weise sichergestellt werden, dass Uploadfilter nie Fehler machen
  • Von Plattformen abgeschlossene Lizenzen decken Uploads durch nicht kommerziell agierende User ab
  • Von Plattformen abgeschlossene Lizenzen decken Uploads durch nicht kommerziell agierende User nur dann ab, wenn die Lizenz das explizit vorsieht

Beide führen zu Uploadfiltern – eine Version explizit, die andere implizit.

Was das für dich bedeutet:

  • Fehleranfällige Uploadfilter müssen alles überprüfen, was du auf Plattformen wie Instagram, YouTube, Snapchat, Facebook, Tumblr, WordPress.org, Wattpad, DeviantArt, SoundCloud, TikTok, Giphy etc. posten oder hochladen willst, bevor es online erscheinen kann. Das führt zu Verzögerungen und Fehlern. Uploadfilter verdrehen die Unschuldsvermutung und du giltst als schuldig, solange nicht bewiesen ist, dass du unschuldig bist. Damit ist garantiert, dass absolut legale Inhalte zurückgehalten werden – insbesondere im Fall von Parodien, Memes und anderen kreativen Werken, die auf existierenden Werken aufbauen.
  • Trolle und andere böswillige Akteure werden ein leichtes Spiel haben, die Filter gegen Material einzusetzen, das ihnen nicht gefällt.
  • Dienste, auf die du angewiesen bist, werden anfangen, in der EU Geoblocking einzuführen, wenn sie mit der Haftbarkeit nicht umgehen können.

Was das für uns alle bedeutet:

  • Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn das Internet sich von einem offenem Ort, in dem Beteiligung willkommen ist, in einen Ort verwandelt, wo jeder Beitrag zuerst eine Überprüfung überstehen muss.
  • Verlust von Diversität, wenn unabhängige Künstler*innen, wie YouTuber*innen, kämpfen müssen, um ihre Uploads überhaupt erst hochladen zu dürfen und sie im Anschluss vor der Entfernung zu bewahren. Große Organisationen hingegen erhalten direkten Zugang zu den Uploadfiltern und können direkt Einfluss darauf nehmen, was automatisch geblockt werden soll. Die Netzkultur, die existierende Werke nutzt und remixt, um daraus Reaction-GIFs, Lip-Syncs und Memes zu machen, wird darunter leiden.
  • Innovation wird im Keim erstickt: Diese Richtlinie wird dafür sorgen, dass es niemals eine Europäische Alternative zu großen sozialen Medien und Plattformen geben kann. Die wenigen US-Giganten, die das Geld für Uploadfilter aufbringen können, werden diese an andere weiterverkaufen und damit ihre marktbeherrschende Stellung noch weiter stärken.

Zentrale Unterschiede:

  • Der Rat etabliert Uploadfilter explizit als die einzige Möglichkeit für Plattformen, um der vollumfänglichen Haftbarkeit für das Verhalten ihrer Nutzer zu umgehen. In der Parlamentsversion müssen Plattformen Uploadfilter einsetzen, um überhaupt hoffen zu können, möglichst viele Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren und damit ihr Haftungsrisiko zu mindern – die Haftung für jede Urheberrechtsverletzung, die der Filter nicht findet, bleibt aber trotzdem bestehen. Was das Parlament von Plattformen erwartet, ist offensichtlich unmöglich: alle urheberrechtlich geschützten Werke zu lizenzieren, die jemals geschaffen wurden. Und selbst das würde das Handeln der User nicht unbedingt legalisieren, wenn sie solche Werke hochladen (oder Werke, die auf ihnen aufbauen): Das Parlament möchte, dass Rechteinhaber dies in den Lizenzvereinbarungen mit den Plattformen weiter einschränken können. Selbst wenn Rechteinhaber den Plattformen überhaupt keine Lizenzen anbieten, bleiben die Plattformen in der Parlamentsfassung weiter haftbar. Wenn so ein Gesetz in den Anfangstagen des Internet gegolten hätte, wäre nie mehr geworden als eine Art Kabelfernsehen.
  • Die Schutzklauseln sind in der Parlamentsfassung besser ausgearbeitet. Letzten Endes aber basieren sie auf der unbegründeten Hoffnung, dass freiwillige Industrie-Dialoge irgendwie verhindern können, dass die Uploadfiltern jemals Fehler machen.

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Artikel 11: Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Der Rat möchte Das Parlament möchte
  • Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln müssen lizenziert werden
  • Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln müssen lizenziert werden
  • Gilt für Presseverlage,die ihren Sitz in der EU haben
  • Gilt für alle Presseverlage
  • Deckt die Online-Nutzung auf Online-Diensten ab (Keine Ausnahmen für kleine Unternehmen, Wikipedia oder andere)
  • Deckt die digitale Nutzung auf oder durch Online-Dienste ab (Keine Ausnahmen für kleine Unternehmen, Wikipedia oder andere)
  • Ausnahmen für die Nutzung von „unerheblichen Teilen“ – für die jeder Mitgliedsstaat entscheiden kann, ob dies an die Schöpfungshöhe, sehr kurze Länge, oder beides geknüpft sein soll
  • Ausnahmen für „einzelne Wörter“ und für „legitime private- und nicht-kommerzielle“ Nutzung durch Individuen
  • Mitgliedsstaaten müssen die Ausnahmen und Schranken anwenden, die auch im Urheberrecht gelten
  • Mitgliedsstaaten können die Ausnahmen und Schranken aus dem Urheberrecht anwenden, müssen aber nicht
  • Leistungsschutzrecht gilt für 1 Jahr nach der Publikation eines Beitrags
  • Leistungsschutzrecht gilt für 5 Jahre nach der Publikation eines Beitrags
  • Das Auflisten eines Beitrags in einer Suchmaschine soll keine ausreichende Gegenleistung für eine Erlaubnis des Verlags sein, diese unentgeltlich zu nutzen


Die Positionen unterscheiden sich kaum: Beide attackieren die Link- und die Informationsfreiheit.

Was das für dich bedeutet:

  • Wenn du Links auf Nachrichten auf Plattformen wie Facebook, Twitter, Reddit, Pinterest, Tumblr, Slack oder Discord teilst, dürfen sie keine Ausschnitte aus dem verlinkten Beitrag mehr anzeigen. Heute wird beispielsweise der Titel angezeigt – in Zukunft wäre dies nur noch möglich, wenn die Plattformenmit diesen Nachrichtenquellen im Voraus Lizenzen für alle EU-Mitgliedsstaaten vereinbart haben. Die Konsequenz daraus ist, dass viele deiner Links nichtssagend und unattraktiv dargestellt werden, oder du sie überhaupt gar nicht erst posten darfst. (Deine Beiträge auf öffentlichen Internetplattformen fallen nie unter ‚private, nicht-kommerzielle Nutzung‘.)
  • Dienste, auf die du angewiesen bist, etwa News-Aggregatoren (wie Google News, Apple News, etc.), Suchmaschinen, Fact-Checking-Seiten, Medienbeobachtungs-Dienste und andere werden entweder keine Ausschnitte mehr anzeigen oder ihre Preise erhöhen oder ihren Dienst gänzlich einstellen müssen.
  • Wenn du selbst Inhalte erstellst und auf Plattformen wie YouTube veröffentlichst, müssen diese (in Zusammenspiel mit Artikel 13) automatisch verhindern, dass du Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln postest (Textauszüge oder beispielsweise Screenshots in einem YouTube-Video) – eine fast unlösbare Aufgabe. In einigen EU-Mitgliedsstaaten fällt eine derartige Verwendung im Einzelfall wahrscheinlich unter das Zitatrecht – Plattformen werden lieber auf Nummer sicher gehen müssen und sie erstmal löschen. Vielleicht kannst du deine Beiträge aber mit Hilfe von Beschwerdemechanismen mühsam zurückerkämpfen.

Was das für uns alle bedeutet:

  • Schlechter informierte Öffentlichkeit, da sich Nachrichten schlechter verbreiten
  • Geringere Medienvielfalt, da Aggregatoren und soziale Netzwerke neuen Publikationen und Nischenmedien erst ermöglichen, den Etablierten auf Augenhöhe Konkurrenz zu machen
  • Weniger Innovation im Nachrichtensektor, da Anreize gegen die Gründung von Nachrichten-Startups und neuer Medien etabliert werden

Zentrale Unterschiede

  • In der Parlamentsfassung wäre eine Suchmaschine nicht mal mehr dazu berechtigt, die Titel von News-Artikeln in ihrer Indexdatenbank zu speichern (eine „digitale“ Nutzung, die nicht „online“ ist). Das Parlament möchte außerdem absolut sichergehen, dass Presseverleger ihre Snippets nicht umsonst anbieten (wie sie es in Deutschland getan haben, als hierzulande das Leistungsschutzrecht eingeführt wurde), was sie effektiv in ein Kartell zwingen würde.
  • Die unterschiedlichen Ausnahmen sind alle unzulänglich, um wesentliche heute gängige Nutzungsformen zu umfassen. Der Vorschlag des Rats wird 28 unterschiedliche Umsetzungen zur Folge haben – was Internet-Plattformen keine andere Wahl lässt, als sich nach der strengsten zu richten, um auf Nummer sicher zu gehen.

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Einschränkungen für Sportveranstaltungen

Der Rat möchte Das Parlament möchte

Im September zeigte sich Axel Voss in einer Aufnahme nach der Plenarabstimmung verblüfft, dass es dieser Paragraph in die von ihm verfochtene Parlamentsposition geschafft hat. Das ist überraschend, da eine Kollegin und ich ihn in den Verhandlungen darauf aufmerksam gemacht und einen Änderungsantrag eingereicht hatten, der das neue Sportrecht entfernt hätte. Voss hat aber explizit gegen diesen Änderungsantrag gestimmt, und auch seiner Fraktion vorgegeben, es ihm gleich zu tun.

Was das für dich bedeutet:

  • Die Fankultur online ist in Gefahr, da Vlogs, Selfies im Stadion, Aufnahmen von Choreos, Tifos und andere Fankreationen zu Leistungsschutzrechtsverstößen würden
  • Beispiellose Kontrollmöglichkeiten für Sportveranstalter, die dieses Recht selektiv gegen aufmüpfige oder unbequeme Fans einsetzen könnten

Was das für uns alle bedeutet:

  • Weniger Berichterstattung und Aufmerksamkeit für kleinere Clubs und Nischen-Sportarten, die sie am meisten bräuchten, da das Leistungsschutzrecht Rechtsunsicherheit schafft

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Was du tun kannst

Bist du, wie ich, mit beiden Vorschlägen unzufrieden? Hast du Angst, dass das Gesetz dem freien und offenen Internet grundlos massiven Schaden zufügen wird, egal ob der Rat oder das Parlament sich durchsetzen?

Momentan ist unsere aussichtsreichste Option, den Druck auf die Regierungen im Rat zu erhöhen. Insbesondere auf die österreichische Präsidentschaft und das deutsche Justizministerium, um in den Verhandlungen das Schlimmsten zu verhindern. Macht ihnen deutlich, dass Einschränkungen unserer Möglichkeiten, zu posten und zu verlinken, Auswirkungen bei den Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 haben werden. In dieser Tabelle könnt ihr nachvollziehen, wie eure Abgeordneten im Parlament abgestimmt haben.

Hilf mir, die öffentliche Aufmerksamkeit während der Triloge aufrechtzuerhalten: Kontaktier deine lokalen Medien, kommentier die Verhandlungen online, mach Videos, teile meine Posts und halte deine Freunde auf dem Laufenden. Noch ist nichts in Stein gemeißelt – aber wir müssen uns jetzt umso mehr gegen die Uploadfilter, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger und Einschränkungen für Sportfans stellen.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

Ein Kommentar

  1. 1

    Möge der böse Geist wieder in seiner Flasche verschwinden.

    Danke Julia für dein Angagement. Weiter so.

    Ich wünsche mir die Piraten wieder in der deutschen Parteienlandschaft, ohne euch ist es erschreckend langweilig hier. ;o)