Ab 1. März beginne ich eine neue Aufgabe. Mithilfe der Shuttlewort Foundation werde ich in meine Heimatstadt Berlin zurückkehren und mich dort voll und ganz der Urheberrechtsreform widmen, um Zugang zu Wissen und Kultur zu erleichtern. Ihre Ankündigung könnt Ihr hier auf Englisch oder unten auf deutsch lesen.

Viele waren enttäuscht, als das Europaparlament die Richtlinie über das Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt mit knapper Mehrheit angenommen hat. Aber unser Kampf war nicht umsonst. In den nächsten Jahren wird es meine Aufgabe sein, alle Verbesserungen und Schutzvorkehrungen im Urheberrecht zu verteidigen, die wir gemeinsam erreicht haben – in der nationalen Umsetzung und vor Gericht.

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WIllkommen Julia, Shannon und Nelson

Die Shuttleworth Foundation heißt ihre neuen Fellows Julia Reda, Shannon Dosemagen und Nelson Wasswa willkommen, die zum März 2020 ihre Arbeit aufnehmen.

Unsere ehrenamtliche Kommissarin, Beth Simone Noveck, hat diese drei außergewöhnlichen Fellows aus einem starken Bewerber*innenfeld ausgewählt. Wir danken Beth für ihre Arbeit und ihren Beitrag zu unserem Auswahlverfahren, deren Ergebnisse wir mit größter Freude präsentieren.

Offenheit ist der Grundwert, der alle neuen Fellows verbindet. Sie sind Pionier*innen in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern: Julia kämpft für ein Urheberrecht, das dem globalen, offenen Internet gerecht wird, Shannon verbessert die Nachnutzung offener Umweltdaten und Nelson nutzt Offenheit, um Transparenz über Trinkwasserverschmutzung zu schaffen. All diese Themen sind für die Gemeinschaft unserer Fellows von besonderer Bedeutung, die kommenden Monate und Jahre werden viele Gelegenheiten bieten, sie zu erforschen und von den Projekten zu lernen.

Das Team der Shuttleworth Foundation und unsere Community heißen Julia, Shannon und Nelson herzlich willkommen und wünschen ihnen alles Gute für den Start ihrer Fellowships ab dem 1. März.

Beth Simone Noveck, Ehrentamtliche Kommissarin: “In diesen Zeiten immer harscherer politischer Auseinandersetzungen und zunehmender Verzweiflung war es mir eine besondere Freude und Ehre, die vielen Bewerbungen von Menschen zu lesen, die sich leidenschaftlich und mit all ihrer Energie für andere Menschen einsetzen. Sie erinnern uns, wenn wir offen und kollaborativ arbeiten, können wir alle daraus Kraft schöpfen.

“Zwar war die Auswahl von drei Personen, die wir unterstützen werden, eine der schwierigsten und lohnendsten Aufgaben, die ich übernommen habe, aber Shannon, Julia und Nelson sind besonders hervorgestochen. Sie überzeugen nicht nur durch ihre Vision, sondern durch ihre Fähigkeit, sich große Ziele zu setzen und diese hartnäckig zu verfolgen, von der ersten Idee bis zur Umsetzung und echten gesellschaftlichen Veränderungen.”

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Julia Reda. Photo cc-by Diana Levine / dianalevine.comJulia Reda. Photo cc-by Diana Levine / dianalevine.com

 

Vorstellung: Julia Reda

Hintergrund: Forscherin, Urheberrechts-Aktivistin und ehemalige Europa-Abgeordnete

Idee: Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter

 

 

Das Problem

Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem die Europäische Union ihre umstrittene Richtlinie über das Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt verabschiedet hat. Noch immer scheiden sich an ihr die Geister. Unterhaltungsindustrie und Verlage präsentieren sie als die logische Fortsetzung einer Urheberrechtspolitik, die sie seit Jahrzehnten prägen, und als einen ‘Sieg für die Kreativen’. Die Öffentlichkeit ist dagegen besorgt über die Folgen einer analogen Urheberrechtspolitik, die die Chancen der Digitalisierung verkennt und unsere Freiheit mit Zensur, Einschränkung der Privatsphäre und immer weiterem Verlust der Offenheit des Netzes bedroht.

Dem beherzten Einsatz der Netzgemeinde, die durch öffentliche Proteste in letzter Minute zahlreiche Verbesserungen erzwingen konnte, ist es zu verdanken, dass die größten Befürchtungen nicht unbedingt Wirklichkeit werden müssen und selbst positive Veränderungen möglich sind. Zwar enthält die neue Richtlinie sehr bedrohliche Elemente, die die Entwicklung des Internets in Richtung immer stärkerer Überwachung und automatisierter Durchsetzung veralteter Gesetze beschleunigt, aber sie enthält auch Chancen und gänzlich neue Konzepte, die das Urheberrecht noch nie zuvor anerkannt hat. Zum ersten Mal geht das Gesetz nicht komplett einseitig von einem “alle Rechte vorbehalten”-Modell aus, sondern erkennt den Wert offener Lizenzen und der Gemeinfreiheit explizit an. Sie birgt die Chance, die Zukunft des Netzes in eine positive Richtung zu gestalten, den Zugang zu Wissen und Kultur zu stärken und die größten Gefahren für die Grundrechte abzuwehren.

Die Idee

Während ihrer Amtszeit im Europaparlament 2014-19 hat Julia Reda dafür gekämpft, die problematischsten Aspekte der Richtlinie zu entschärfen, Schritt für Schritt und Wort für Wort. Mithilfe einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit und der Unterstützung der Open-Bewegung konnte sie wichtige Schutzmaßnahmen und eine Reihe von gänzlich neuen Nutzer*innenrechten in der Gesetzgebung verankern. Jetzt widmet sich Julia der Aufgabe, diese wichtigen Elemente in der Rechtspraxis zu verankern, angefangen in ihrem Herkunftsland Deutschland.

“Der erste Schritt ist die Anpassung des nationalen Urheberrechts”, erklärt sie. “Die Richtlinie enthält zwar positive Ansätze und neue Ideen zum Schutz der Nutzer*innenrechte, aber ich fürchte, dass nationale Gesetzgeber diese einfach ignorieren werden, wenn niemand für sie kämpft. Der zweite Schritt wird sein, möglichst viele Menschen zu ermutigen, diese Rechte in der Praxis zu nutzen und einzuklagen.

“Ich starte ein neues Projekt, das praktische Unterstützung bietet, rechtliche Risiken abfedert und Menschen unterstützt, die ohne große Verlage im Rücken ihre Rechte geltend machen wollen. Etwa im wissenschaftlichen Publikationswesen, wo Wissenschaftler*innen von den Verlagen nicht bezahlt werden und obendrein davon abgehalten werden, ihre eigenen Ergebnisse frei zu verbreiten, selbst wenn das Urheberrecht ihnen das explizit erlaubt. Unabhängige Kreative, die ihre Werke selbst im Netz teilen, müssen die Sperrung ihrer Inhalte durch unkontrollierbare Uploadfilter befürchten. In Situationen wie diesen möchte ich aktiv werden und diesen Menschen helfen, ihre Rechte durchzusetzen.”

Die Person

Julia Reda: “Das Gesetz ist flexibler als wir denken. Große Firmen und Verlage haben die Ressourcen, diese Flexibilität mit allen Mitteln für ihre Interessen zu nutzen. Ich möchte, dass Nutzer*innen, Gedächtnisinstitutionen und individuelle Creator dazu ebenfalls in der Lage sind. Mein Ziel ist, mehr Inhalte als Open Access verfügbar zu machen, seien es wissenschaftliche Artikel oder unser gemeinsames kulturelles Erbe.

“Offenheit ist das Ziel, aber auch meine Methode. Diese Gesetze sind zwar grundsätzlich allen zugänglich, aber sie sind nicht so gestaltet, dass alle sie verstehen und für sich nutzen können. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, komplexe politische und rechtliche Zusammenhänge so zu erklären, dass alle Menschen sie nicht nur verstehen, sondern aktiv gestalten und sich politisch Gehör verschaffen können.”

Die Stiftung

Julia hat sich während ihrer Amtszeit als Abgeordnete unermüdlich und mutig für ein zentrales Thema engagiert und damit die größten Gefahren eines komplett fehlgeleiteten Urheberrechtsentwurfs abwenden können. Nun hat sie die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass diese Arbeit in der praktischen nationalen Umsetzung Früchte trägt, und auf Präzedenzfälle hinzuwirken, die die Open-Bewegung und das freie Internet beflügeln können.

Wir stehen vor einer riesigen Aufgabe. Wir können nicht vorhersagen, wie die Richtlinie ausgelegt werden wird, und auch in Zukunft werden Industrie-Lobbygruppen mit nahezu unerschöpflichen Ressourcen versuchen, die Umsetzung zu beeinflussen. Jetzt ist der Zeitpunkt, aktiv zu werden: In den nächsten 18 Monaten werden alle EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie umsetzen. Julias Ideen können beeinflussen, wie diese Richtlinie das Netz verändern wird.

Deutschland ist der ideale Ausgangspunkt für ihre Arbeit, jeder Erfolg hier könnte Auswirkungen auf die Umsetzung in anderen europäischen Ländern haben. Gemessen an der Vorbildfunktion europäischer Internetregulierung für den Rest der Welt könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen; nicht nur für Deutschland und die EU, sondern für das globale Internet.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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