tl;dr: Projekte, die durch den Einsatz maßgeschneiderter Router-Software freie Funknetzwerke aufbauen, stellen Internetzugänge für Geflüchtete bereit. Die vergangenes Jahr weitgehend unbeachtet beschlossene Funkregulierungs-Richtlinie der EU könnte dazu führen, dass in Zukunft nur noch zertifizierte Software auf WLAN-Routern installiert werden kann. Dies würde es den Initiativen unmöglich machen, in Zukunft weiter solche Netze aufzubauen.

In vielen Städten in Europa in denen derzeit Geflüchtete untergebracht werden, gibt es Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die rund um die Zeltstädte und Unterkünfte freien Internetzugang anbieten.

Freifunk-Projekt in Magdeburg Olvenstedt (Foto: Keywan Tonekaboni, CC-BY-NC/4.0)Freifunk-Projekt in Magdeburg Olvenstedt (Foto: Keywan Tonekaboni, CC-BY-NC/4.0)

Dadurch sind Menschen in der Lage, am sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben, die sich über Monate oder Jahre auf der Flucht vor Krieg, Diskriminierung, Hunger und Vertreibung befunden haben. Ohne das Internet ist Teilhabe nicht mehr vorstellbar. Natürlich bieten solche Netze auch die Möglichkeit, mit Verwandten und Bekannten zu kommunizieren, die sich vielleicht noch in den Herkunftsländern befinden, selbst auf der Flucht sind – oder aber in anderen Städten und Ländern Zuflucht gefunden haben.

In Deutschland sind die Freifunk-Initiativen und andere schon seit vielen Jahren dabei, freie – also gemeinsam und nicht gewerblich betriebene – Funknetze aufzubauen. In der aktuellen Situation nehmen sie sich einer weiteren, humanitären Aufgabe an.

Dazu installieren sie angepasste Software auf Geräten wie Routern und WLAN-Access Points. Diese angepasste Software ersetzt die von den Herstellern vorinstallierte Software (sogenannte Firmware). Mit der eigenen Software wird der Aufbau der freien Netze vereinfacht und automatisiert.

Funkregulierung mit ungewollten Konsequenzen?

In der Europäischen Union gibt es einheitliche Regeln für Geräte, die Kommunikation mittels Funkwellen betreiben. Das ist einerseits wichtig, damit sie sich nicht alle gegenseitig stören. Und andererseits, um bestimmte Kanäle freizuhalten, auf denen Flugzeuge, Rettungsdienste etc. funken.

WLAN-Access Points oder -Router fallen unter diese Regulierung. Bei der Neuregelung der Richtlinie (Richtlinie 2014/53/EU zur „Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt“) wurde am Ende der letzten Legislaturperiode vorgeschrieben, dass auch für die darauf laufende Software nachgewiesen werden muss, dass sie zum Beispiel die vorgeschriebenen Funkkanäle einhält. Und dies gilt nicht nur für die von den Herstellern ausgelieferte Firmware sondern auch für alle Software, die auf den Geräten installierbar ist.

In der Richtlinie heißt es dazu in Artikel 3.3 (i), die Geräte müssen so konstruiert sein, „dass nur solche Software geladen werden kann, für die die Konformität ihrer Kombination mit der Funkanlage nachgewiesen wurde.“. Dies könnte man als Verpflichtung der Hersteller interpretieren, durch die etwa nur noch signierte Software auf den Geräten installierbar wäre. Projekte wie Freifunk und andere sowie kommerzielle Dritthersteller wären nicht zertifiziert und hätten das Nachsehen.

… nicht … die Verwendung … mit Software von unabhängigen Anbietern … verhindern.

Und das, obwohl seit dem ursprünglichen Kommissions-Vorschlag (PDF) unverändert im ErwägungsgrundErwägungsgründe sind gewissermaßen eine Erläuterung der eigentlichen Richtlinie, die selbst aber keine bindende Wirkung hat. Gerichte und Mitgliedsstaaten benutzen sie zur Auslegung und zum Verständnis der Richtlinie. (19) explizit erwähnt wird, dass die Überprüfung der Konformität „nicht dazu missbraucht werden“ sollte, „die Verwendung der Anlagen mit Software von unabhängigen Anbietern zu verhindern“.

Ob und inwiefern der Erwägungsgrund bei der Umsetzung in nationales Recht zum Tragen kommt, ist eine Sache der Umsetzung in den EU-Mitgliedsstaaten.

Müssen Hersteller im Zweifelsfall auch Fremdsoftware prüfen?

Spannend ist auch, dass nach dem Erwägungsgrund (29) „die Konformitätsbewertung… allein dem Hersteller“ und nicht etwa einer staatlichen Stelle obliegen soll. Je nach Umsetzung der Richtlinie müssten die Hersteller selbst also die Software von Drittanbietern prüfen. Ob sie mit dem finanziellen und technischen Aufwand, den sie dafür betreiben müssten, einverstanden sind, ist nicht bekannt.

Regierungen dürfen Freifunk-Projekte nicht gefährden

Die Projekte, die derzeit europaweit entstehen, und ähnlich Freifunk in Deutschland WLAN-Netzwerke rund um Aufnahmeeinrichtungen aufbauen, haben erst im Sommer viel Aufmerksamkeit und Zuspruch für ihre ehrenamtliche Arbeit erhalten. Dieses Engagement muss auch weiter möglich bleiben.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird zur Zeit vorbereitet.

Zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht haben die EU-Staaten bis 13. Juni 2016 Zeit. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat in der Antwort auf eine Informationsfreiheitsanfrage von Michel Vorsprach bereits bekanntgegeben, dass der Gesetzentwurf beinahe fertig und die Umsetzung somit fristgemäß geplant ist. Die Bundesregierung darf das zivilgesellschaftliche Engagement durch die Umsetzung der Funkrichtlinie nicht gefährden!

Die Hersteller dürfen nicht dazu verleitet werden, noch restriktivere Maßnahmen zu ergreifen, als sie es oft eh schon tun. Die Möglichkeit durch eigene Firmwares mit Hardware mehr zu tun, als es die Hersteller ursprünglich vorgesehen haben, ist die Grundlage für den Aufbau von Freien Netzen.

Jetzt aktiv werden!

Wenn auch du in einer Initiative arbeitest, die für ihre freien Funknetze auf Open Source-Firmware wie OpenWRT oder DDWRT setzt, oder wenn du dich dafür einsetzen willst, dass dies auch weiter möglich bleibt, musst du jetzt aktiv werden:

  • Frag bei Deiner Regierung nach, wie sie Artikel 3.3 der Richtlinie 2014/53/EU umsetzt und ob eigene WLAN-Router weiterhin mit eigener Software bespielt werden dürfen.
  • Frag die Hersteller deiner Router danach, wie sie mit den Verpflichtungen umgehen wollen, die aus der Umsetzung von Artikel 3.3 der Richtlinie 2014/53/EU erwachsen.
  • Frag bei den Fachpolitiker*innen der Parteien nach, wie sie sich eine Freifunk-freundliche Umsetzung vorstellen.
  • Schreib uns an funkregulierung@felixreda.eu, welche Antworten ihr bekommen habt.
  • Schickt die Liste an 5 Freunde weiter.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

5 Kommentare

  1. 1

    Von dieser (vermutlich auf Verlangen der TK- und Routerherstellerlobby) verabschiedeten Verordnung ist nicht nur der Freifunk betroffen.
    Die Verordnung besagt ja, dass keine Änderung der Firmware des Sendeteils (wohl hauptsächlich um die Erhöhung der Sendeleistung zu unterbinden; in den USA auch, um die Nutzung der Kanäle 13/14, in Europa die Nutzung des Kanals 14 zu verhindern) stattfinden darf. Andere Teile der Firmware dürften prinzipiell noch überschrieben werden. Blöderweise sind die Firmwareteile alle auf einem Bauteil untergebracht….

    Wer jetzt aber noch mehr durch diese Verordnung betroffen ist, sind die Funkamateure. Hier werden für das sog. HAMNET (ein Netzwerk aus veränderter WLAN-Technik; oft mit ausfallsicherer Stromversorgung durch lange USV-Zeiten und oft auch Solarzellen oder ähnliches ausgestattet und stellenweise als Kommunikationsmittel in Krisenfällen eingeplant) ebenso handelsübliche WLAN-Router verwendet. Diese werden jedoch betreffend der Daten des Funkchips modifiziert (Frequenzen außerhalb des WLAN-Bereiches (Amateurfunkbänder im 2,3 und 5,6 GHz-Bereich) und höhere Sendeleistungen). Durch EU-Recht, welches Funkamateure mit selbst gebauten oder umgebauten Geräten von der CE-Kennzeichnungspflicht ausnimmt (national umgesetzt durch §3 Abs. 3 FTEG) ist das auch abgedeckt. Nur wird dieser Tätigkeit jetzt auch durch die neue Regelung „in die Suppe gespuckt“ – da der Hersteller ja verhindern muss, dass sich neue Firmware installieren lässt…

    • Sebastian Raible

      Hi, danke dir für deinen Hinweis – wir haben HAMNET auf dem Schirm. Hier widerspricht natürlich die Realität von Artikel 3.3 (i) auch dem in Anhang I bekundeten Willen, eben Funkamateure gerade nicht negativ beeinträchtigen zu wollen. Grüße, Sebastian

  2. 2

    IMO liegt eine freie Zukunft in open source software wie OpenWrt.org für WiFi WLAN Router.

  3. 3
    Axel Schnell

    Ich bin schockiert! Seit nunmehr 21 Jahren benutze ich nahezu ausschließlich freie Software. Diese im Grunde genommen letzte Wahlfreiheit, die einem in einer von Technlogieoligarchen bestimmten Welt noch geblieben war, soll einem nun auch noch genommen werden. Für mich steht fest, dass damit auch unsere Demokratie gefährdet und geschwächt wird. Gesetze dieser Art führen dazu, dass Gesetzgeber in eine totale Abhängigkeit von nicht demokratisch gesonnenen Technologiekonzernen geraten und nicht mehr frei entscheiden können.

  4. 4
    Karlo B.

    Aktiv werden, aber wie?
    Was sind die E-Mail-Adressen von meiner Regierung?
    Welche Gerätehersteller soll ich anschreiben? Gibt es hierzu eine Liste?
    Wie heißen die üblichen Ressortnamen von den Fachpolitiker zu diesem Thema?

    Viele Grüße aus Stuttgart,
    Karlo.