Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs schränkt das freie Verlinken von Inhalten ein – und damit eine der Grundfunktionen des Internets. In Kombination mit dem EU-Leistungsschutzrecht, das die Europäische Kommission in der kommenden Woche vorschlagen will, müssen Internet-User in Europa künftig fürchten, beim Setzen von Links gegen Gesetze zu verstoßen.
Könnte diese Meldung in Zukunft in Europa zum Alltag gehören? Sehen wir uns die Entscheidung und die Pläne im Detail an:
1. Links zu Werken mit unbekanntem Urheberrechtsstatus
In seinem Urteil im Fall „GS Media“ befand der EuGH, dass Links auf Urheberrechtsverletzungen selbst eine Urheberrechtsverletzung darstellen können, wenn ersichtlich war, dass es sich um eine Urheberrechtsverletzung handelt.
Für Nutzer*innen kann es extrem schwierig sein festzustellen, ob ein Werk mit der Zustimmung seiner Urheber*in gepostet wurde. Ganz davon abgesehen, dass sich der Inhalt, der hinter einem Link steckt, mit der Zeit stark verändern kann. Zwar erkennt das Gericht dieses Problem grundsätzlich an. „Wenn das Posten von Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgt“, wird aber angenommen, dass Links auf Urheberrechtsverletzungen wissentlich erfolgt sind.
In der Praxis bedeutet das: Wenn Seiten von kommerziellen Anbietern betrieben werden oder Links zu Urheberrechtsverstößen auf Webseiten mit Werbung auftauchen, können Rechteinhaber*innen diese Seiten verklagen oder auch Takedown-Notices an Privatpersonen verschicken, die zur Klage führen, wenn die Links nicht entfernt werden.
Leider ist überhaupt nicht definiert, wann eine Handlung „mit Gewinnerzielungsabsicht“ passiert. Eine kleine Google-Anzeige oder einen Flattr-Button auf der Website zu haben, könnte schon ausreichen und die Seiteninhaber*innen so verpflichten, den urheberrechtlichen Status des Verlinkten jederzeit akribisch zu untersuchen.
Damit wird ein gefährlicher Präzedenzfall für alle geschaffen, die in Europa eine Website betreiben. Es wird also umso dringender, dass wir im EU-Recht festlegen, dass Links niemals eine Urheberrechtsverletzung darstellen können – wie ich in meinem Bericht zum Urheberrecht letztes Jahr vorgeschlagen habe.
Tragischerweise plant Kommissar Oettinger nichts dergleichen. Stattdessen will er weitere Einschränkungen einführen:
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2. Links auf Zeitungsartikel
Wie ich vor zwei Wochen berichtete, plant die Europäische Kommission ein neues Urheberrecht für Presseverleger, das die Linkfreiheit untergraben würde.
Sowohl der Kommissar als auch die Verlage haben seitdem abgestritten, solche Pläne zu verfolgen – in eindeutigen Worten, wie man zunächst meinen könnte:
„Keine unserer Forderungen würde betreffen, wie unsere Leser*innen […] Links auf Social Media teilen […] Wir fordern bestimmt keine Steuer auf Hyperlinks“ – European Publishers Council, 5. September
„Private Nutzer können weiterhin […] Links zu Zeitungsartikeln – inklusive kurzer Anreißer – auf ihrer Facebook-Seite oder Twitter veröffentlichen, ohne dafür zu zahlen“ – Kommissar Oettinger, 5. September
Doch wenn das Gesetz, das nächste Woche vorgestellt wird, so kommt, wie es uns der geleakte Entwurf glauben lässt, sind diese Dementis nur Wortklauberei.
Der Entwurf legt ganz klar dar, dass Presseverleger auf 20 Jahre das Exklusivrecht bekommen sollen, jeglichen Teil eines Artikels zu speichern oder zu kopieren – also auch bloß die Überschrift oder Auszüge von wenigen Worten. Es gibt keine Ausnahme, nicht mal für den kürzesten Anreißer. Es gibt keine Ausnahme für Privatpersonen. Was wir heute unter einem Link verstehen, wäre also ganz eindeutig direkt betroffen.
Zu einem Link gehört heute ein Anreißer
Seit der Erfindung des World Wide Web ist es üblich, einen Link auf eine andere Seiten mit dem Titel der verlinkten Seite oder einem kurzen Zitat zu versehen, um Leser*innen zu erklären, was sie auf der anderen Seite des Links erwartet und um ihnen den Klick schmackhafter zu machen.
Soziale Netzwerke haben dies für die Nutzer*innen in den vergangen Jahren vereinfacht, indem sie automatisch einen Anreißer sowie ein Bild anzeigen, wenn Nutzer*innen eine Webadresse posten. Das ist heutzutage vermutlich die am weitesten verbreitete Version eines Links. Hier drei Beispiele, die alle mit dem Gesetzesentwurf im Konflikt stehen:
Anreißer sind Werbung, kein Diebstahl
Es ist offensichtlich, dass diese Aufbereitung von Links zu Gunsten der verlinkten Seiten passiert, und nicht, um ihnen etwas wegzunehmen. Diese Funktion verwandelt eine schlichte URL in eine hübsche Werbung für den Inhalt der verlinkten Seite.
Deswegen betreiben Zeitungsverlage auch viel Aufwand, um spezielle Codes in ihre Seiten einzubauen, die Twitter, Facebook und andere instruieren, welches Foto, welche Überschrift usw. genau angezeigt werden soll, wenn jemand auf die Seite verlinkt.
Dass die Verlage jetzt Geld von sozialen Netzwerken und News-Aggregatoren verlangen, wenn diese quasi Werbung für ihre Inhalte schalten, ist absurd. Die Argumente entbehren jeder Grundlage: Die Anzeige von Anreißern sei eine Art Diebstahl; Leute würden dadurch das Interesse verlieren, sich die verlinkten Seiten anzusehen; die Verlinker würden den Zeitungen somit Werbeeinnahmen entziehen; und daher müsse dringend ein Gesetz her, um diese schlimme Ungerechtigkeit zu stoppen.
Nur bei EU-Digitalkommissar Günther Oettinger ziehen diese Argumente: Er lässt sich von solchen Lobby-Forderungen seinen Vorschlag zur EU-Urheberrechtsreform diktieren. Kein Argument ist ihm zu fadenscheinig, um zu versuchen, eine rückläufige analoge Branche mit neuen Abgaben für digitale Anbieter querzufinanzieren – ohne Rücksicht auf den Kollateralschaden, den dies für Nutzer*innen und Startups in Europa anrichtet.
Scheitern vorprogrammiert
Es ist naiv, zu erwarten, dass sich Internetplattformen dieser Erpressung einfach so fügen – viel eher werden sie ihre Angebote so anpassen, dass sie mit den neuen gesetzlichen Vorgaben übereinstimmen, und dabei neue Kosten tunlichst vermeiden. Dazu hätten sie eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Plattformen könnten Anreißer grundsätzlich weglassen oder es schwieriger machen, auf Zeitungsartikel zu verlinken. Sie könnten die Kosten an ihre Nutzer*innen weiterreichen, spezielles Geoblocking für Links zu EU-Nachrichtenseiten einführen oder sich schlichtweg vom europäischen Markt zurückziehen.
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In der Praxis bedroht der Vorschlag die Fähigkeit, in Europa Links weiter so zu teilen, wie wir es gewohnt sind, also sehr wohl. Wenn Oettinger und die Lobby dies abstreiten, demonstrieren sie eine bemerkenswerte Naivität – oder sie betreiben absichtlich Haarspalterei, um vom Thema abzulenken. Ich werde sie damit nicht davonkommen lassen und auch weiterhin im Europäischen Parlament für eure Linkfreiheit kämpfen.
Die Verlagslobby hat übrigens schon einen Kommunikationsplan für den unausweichlichen Moment, wenn die Aktion nach hinten losgeht: Sie werden auf die Maßnahmen zeigen, die die Plattformen eingeführt haben, um dem Gesetz zu entsprechen – und anprangern, dass DIESE die plötzlich superwichtige Linkfreiheit einschränken würden.
Nur dass sie mit „Freiheit der Nutzer*innen, Inhalte zu verlinken“ dann tatsächlich „die Verpflichtung der Plattformen, uns zu bezahlen“ meinen.
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.