Artikel 11 des Kommissionsvorschlag zur Ausweitung des Urheberrechts
Auch bekannt als: Leistungsschutzrecht für Presseverleger, Verlegerrecht, Ancillary Copyright, Canon AEDE
Kommissionsvorschlag
Alle, die kleinste Ausschnitte journalistischer Inhalte im Netz nutzen, brauchen dafür eine Lizenz des Verlegers. Dieses Leistungsschutzrecht für Presseverleger würde für 20 Jahre nach der Veröffentlichung gelten.
Beispiel:
Die automatischen Previews, die soziale Medien einblenden, wenn User einen Link teilen (typischerweise bestehend aus der Überschrift, einem kleinen Bild und einem kurzen Textausschnitte), wären in Zukunft lizenzpflichtig. Das gilt auch für Dienste, die Nachrichten systematisch auswerten, beispielsweise Aggregatoren, Medien-Monitoring oder Faktencheck-Dienste.
Absicht:
Die Kommission möchte neue Einnahmequellen für europäische Verlage erschließen, indem sie Internetplattformen für das Anzeigen kleiner Textausschnitte zur Kasse bitten können. In öffentlichen Statements wurden Google, Facebook, Twitter und Pinterest, die Links zu Nachrichtenartikeln mit solchen Snippets versehen, als Ziele des Vorschlags identifiziert.
Konsequenzen
- Zum Scheitern verurteilt: Bei diesem Vorschlag handelt es sich um einen Versuch, europaweit ein Gesetz zu kopieren, das bereits in Deutschland und Spanien kläglich gescheitert ist – wobei der EU-Vorschlag noch weiter geht und eine längere Geltungsdauer hat. Das deutsche Gesetz steht derweil kurz davor, vor Gericht als nichtig erklärt zu werden. Vom Spanischen Gesetz ist inzwischen bekannt, dass es „eindeutig einen negativen Einfluss auf die Sichtbarkeit von Nachrichten und den Informationszugang in Spanien hatte“ (EPRS). Journalist*innen haben freilich niemals finanziell vom Leistungsschutzrecht profitiert.
- Angriff auf den Link: Leser*innen brauchen Informationen über einen Link, bevor sie darauf klicken. Deshalb binden Webseiten fast immer ein Snippet aus dem verlinkten Text in den Link ein, zumindest die Überschrift. Jegliche Einschränkung von Snippets behindert das freie Verlinken im Netz.
- Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit: Der Vorschlag würde nicht nur Unternehmen einschränken, sondenr auch individuelle Nutzer*innen, die Snippets nutzen, z.B. Blogger*innen. Im Gegensatz zum bereits geltenden Urheberrecht besitzen Leistungsschutzrechte nämlich keine Schöpfungshöhe, der Schutz gilt also auch für sehr kurze Textausschnitte, die keinerlei Kreativität erfordern, wie beispielsweise eine rein faktenbasierte Überschrift.
- Spielt Fake News in die Hände: Der Vorschlag würde das Verlinken von Nachrichten riskanter machen und damit Anreize schaffen, auf das Teilen von Nachrichten aus bekannten Verlagen zu verzichten. Da „Fake News“ und Propagandaquellen stets auf größtmögliche Reichweite ausgelegt sind und gleichzeitig die Verantwortlichen für die Inhalte gern geheim halten, würden sie sicherlich nicht vom Leistungsschutzrecht Gebrauch machen. Deshalb würden Fake News nach Verabschiedung des Leistungsschutzrechts auf sozialen Medien wahrscheinlich noch sichtbarer.
- Bremse für Startups im Nachrichtenbereich, obwohl dieser Sektor angesichts der technologischen Entwicklung besonders dringend auf Innovation und neue Ansätze angewiesen ist, um die Geschäftsmodelle der Zukunft zu erproben, ebenso wie neue Wege das Publikum zu erreichen, Faktenchecks effizienter zu gestalten und Fake News zu entlarven.
- Nachteil für kleine Verlage: Nachrichtenaggregatoren bauen Unterschiede in der Reichweite verschiedener Medien ab: Besonders kleine Verlage, die sich weniger auf die Bekanntheit ihrer Marke verlassen können, beziehen einen großen Anteil ihres Publikums von Suchmaschinen und co.
Öffentliche Debatte
Sowohl die Europäische Kommission als auch die Verlagslobby haben mehrfach behauptet that , „Individuen und Hyperlinks wären von den Vorschlägen nicht betroffen“, der Gesetzesvorschlag gibt das aber nicht her:
- Links enthalten praktisch immer ein Snippet, ein Preisschild für Snippets schränkt also auch das Verlinken ein.
- Auch wenn Urheberrechtsschranken auch auf das Leistungsschutzrecht anwendbar wären, löst das nicht das Problem, dass in vielen EU-Mitgliedstaaten (z.B. Deutschland) das bloße Zitieren von Nachrichtenausschnitten ohne das Zitat in einen kritischen Kommentar einzubetten nicht von der Zitatschranke abgedeckt ist, auch nicht, wenn es durch Privatpersonen geschieht.
- Soziale Netzwerke müssten Privatpersonen das Teilen von Links mit unlizenzierten Snippets untersagen, damit wäre die Nutzung der Sozialen Netzwerke durch das Gesetz direkt beeinträchtigt.
Die Lobby der Presseverleger bezeichnet dies als “bloß das selbe, was Verleger anderer Medienarten bereits haben”, zum Beispiel die Musikproduzenten und ihre Vertreter. Dieses Argument ignoriert einen großen Unterschied zwischen den beiden: Während das Leistungsschutzrecht für Musikaufnahmen immer nur eine bestimmte Aufnahme schützt, nicht aber die Musikkomposition selbst, ist der von einem Journalisten geschriebene Artikel identisch mit seiner „Aufzeichnung“ auf einer Webseite , aus letzterer sollten sich entsprechend keine zusätzlichen Rechte ergeben.
Die Wissenschaft ist sich einig in ihrer Kritik an dem Vorschlag:
- „Es besteht unabhängiger wissenschaftlicher Konsens, dass Artikel 11 […] nicht zugelassen werden darf.“ –Führende europäische Institute für Immaterialgüterrechte und Innovationsrecht
- „Unnötig, unerwünscht, würde ein inakzeptables Niveau an Rechtsunsicherheit schaffen und vermutlich nichts erreichen” –37 Wissenschaftler*innen im Bereich Immaterialgüterrechte
- „Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit”, „könnte sich leicht als Hindernis für die Presse als Wächterin des öffentlichen Interesses erweisen” –Prof. van Eechoud, Universität Amsterdam
- „Läuft dem Ziel zuwider, einen Digitalen Binnenmarkt zu schaffen”, “den Interessen der Urheber*innen abträglich”, “schädlich für kleinere Verlage”, „birgt das Risiko ungünstiger Folgen für die Akzeptanz und Legitimität des Urheberrechtssystems als Ganzes” –Universität Straßburg
- ”Wird nicht zur Förderung des Qualitätsjournalismus beitragen”, ”schadet den wirtschaftlichen Interessen der Urheber*innen”, ”schränkt unmittelbar die Online-Kommunikation der europäischen Bevölkerung ein”, ”wird keine zusätzlichen Einnahmen für Presseverleger generieren” –Prof. Peukert, Goethe-Universität Frankfurt
- “wird am Ende große, etablierte (US-amerikanische) Online-Nachrichtenanbieter wie Google privilegieren“, „Kleinere (Europäische) Firmen und Startups werden von diesem neuen Markt ausgeschlossen” –European Copyright Society
- ”Das Ergebnis […] könnte weitere Marktkonzentration und weniger Informationsvielfalt sein.” –Prof. Senftleben, Freie Universität Amsterdam
Diverse Interessenvertreter, die eigentlich von dem Vorschlag profitieren sollen, lehnen ihn ab, unter anderem eine Allianz unabhängiger Verlage sowie eine der großen spanischen Tageszeitungen, El País.
Die Kampagne #SaveTheLink, die von der NGO OpenMedia ins Leben gerufen wurde, hat über 12.000 Antworten auf die Konsultation der Europäischen Kommission zum Leistungsschutzrecht gesammelt und wird insgesamt von über 120.000 Personen unterstützt.
Europäisches Parlament
- Der (federführende) Rechtsausschuss fordert weitreichende Änderungen: Der Berichtsentwurf der Berichterstatterin MEP Comodini (EVP-Fraktion)lehnt den Ansatz der Kommission ab und stellt klar, dass die Verwendung von Snippets Nachrichten überhaupt erst auffindbar macht und keineswegs notwendigerweise nachteilig für die Verlage ist, weshalb dafür auch keine Lizenzgebühren fällig werden sollten. Der Bericht schlägt stattdessen einen völlig neuen Ansatz vor: Statt der Schaffung eines neuen Leistungsschutzrechts für Presseverleger soll es den Verlagen erlaubt werden, selbst gegen Verletzungen der Urheberrechte der Journalist*innen gerichtlich vorzugehen, wenn es um unerlaubte Kopien durch den Verlag veröffentlichter Artikel geht.
- Der Schattenberichterstatter der liberalen ALDE-Fraktion unterstützt den Kommissionsvorschlag für ein Leistungsschutzrecht, während die Schattenberichterstatterinnen von S&D und Grüne/EFA sich für dessen vollständige Streichung einsetzen.
- Der Berichtsentwurf des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (MEP Stihler’s draft report) will das Leistungsschutzrecht ebenfalls streichen, während der (Berichtsentwurf von MEP Joulaud) im Kulturausschuss Privatpersonen vom Geltungsbereich des Leistungsschutzrechts ausnehmen will und vorschlägt, die Geltungsdauer auf drei Jahre zu verkürzen.
In der Vergangenheit hatte das Europaparlament bereits gegen die Aufnahme der Forderung nach einem Leistungsschutzrecht in den Reda-Bericht gestimmt, Ende 2015 riefen 83 Abgeordnete die Kommission in einem offenen Brief dazu auf, die Idee fallenzulassen, und Abgeordnete nahezu aller Fraktionen schlossen sich jüngst Julia Redas Videoaufruf gegen das Leistungsschutzrecht an.
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Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.
Das Leistungsschutzrecht geht in meinen Augen in Richtung einer Zensur. Entweder werden gezielt Lobbygruppen bedient, oder die Kommisionsmitglieder haben von der Funktionsweise des freien Internet wenig bis gar keine Ahnung.
Ich kann den Grundgedanken und die Grundintention nachvollziehen: Der Suchkonzern Google soll die Ersteller von Content dafür bezahlen, dass Google Werbeeinnahmen erzielt durch das Anzeigen von Suchergebnissen (mit Text-Anrissen). Die Art der Umsetzung ist aber vergleichbar mit dem Werfen einer Handgranate in einen Teich, wenn man gerne frischen Fisch hätte. Es gibt einfach zu viel Schaden, der mit der Zielerreichung nichts zu tun hat.
Aus meiner Sicht wäre deshalb die allereinfachste Lösung eine Besteuerung des Gewinnes von Google in den jeweiligen EU-Staaten. Bei E-Commerce ist für die Einhebung der nationalen Mehrwertsteuer schon eine Lösung geschaffen worden. Warum also nicht auch in den Ländern Gewinne versteuern?
„Alle, die kleinste Ausschnitte journalistischer Inhalte im Netz nutzen, brauchen dafür eine Lizenz des Verlegers. “
Ist so glaube ich nicht richtig, bzw. einfach falsch. Nicht kommerzielle Anbieter wie bspw. Online-Enzyklopädien oder Open-Source-Softwareplattformen fallen nicht unter die neue Richtlinie. Genauso wenig Plattformen, welche jünger als drei Jahre sind, weniger als fünf Mil. Nutzer haben oder mit ihrem Jahresumsatz unter zehn Mil. € bleiben.
Oder?
Hallo Anna, die 3 Jahre/5 Mill/Jahresumsatz-Grenzen gelten nur für Artikel 13, nicht für Artikel 11. Dieser gilt für alle „Information Society Service Providers“ – das wird in vorhergehenden Gesetzen definiert als Dienste, die „normalerweise gegen Entgelt angeboten werden“. Ob das im Einzelfall auf nur teilweise kostenfreie Plattformen wie etwa GitHub zutrifft, müsste ein Gericht im Einzelfall klären.