Soll der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission für ein europaweites Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft treten, und einschränken, wie wir Nachrichten online teilen und konsumieren können?
Nach wiederholten Verzögerungen hat MdEP Axel Voss (CDU) endlich seinen Vorschlag für die Position des Europäischen Parlaments veröffentlicht. Seine Position? Der Kommissionsvorschlag geht ihm noch nicht weit genug!
Nachdem er zuletzt schon für grünes Licht für Uploadfilter eingetreten ist, befürwortet Voss nun die nächste Einschränkung der freien Meinungsäußerung im Internet. Das Gesetz ist ein unverhohlener Angriff auf all jene, von denen sich etablierte Verlage bedroht fühlen: Internetplattformen, Startupunternehmen und kleinere, innovativere Konkurrenten.
Voss möchte den Kommissionsvorschlag nochmals verschärfen. Die gescheiterte spanische Variante dieses Gesetzes dient ihm dabei scheinbar als Vorbild:
- Nachrichtenseiten sollen ein unveräußerliches Recht auf Vergütung erhalten, also gar nicht in der Lage sein, die freie Verwendung von Anreißern ihrer Inhalte einzuräumen
- Nachrichtenagenturen sollen ebenfalls davon abgedeckt sein – was einer Kontrolle über die Verbreitung bloßer Fakten nahekommt
- In bestimmten Fällen sollen Verleger durch das Gesetz verdientes Geld mit Journalist*innen teilen
- Es sollte eine Ausnahme für Einzelpersonen geben, die Inhalte für „legitime private und nicht-gewerbliche Zwecke“ teilen
- Eine neue Rechtfertigung für das Gesetz ist die angebliche Bekämpfung von „Fake News“
[Der Vorschlag von Voss zu Artikel 11 der EU-Urheberrechtsreform im Original]
Aus schlechten Ideen Gesetze machen
Vergangenen Monat hat Voss in einem Interview sogar zugegeben, dass das Leistungsschutzrecht „vielleicht nicht die beste Idee“ ist – aber „die einzige, die wir bislang auf dem Tisch liegen haben, um hier irgendwie was zu verbessern.“
Wobei etwas verbessern? Angeblich beim „Schutz der freien und unabhängigen Presse“. Gleich darauf verriet Voss jedoch, wer genau ihn davon überzeugt hatte, dass dieses Mittel zur Verfolgung dieses lobenswerten Ziels nötig sei: „Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass ein Axel-Springer-Verlag […] nicht mehr auf Augenhöhe mit diesen weltumfassenden Plattformen wie Google oder Facebook [ist].“
Er gibt damit preis, womit wir es hier zu tun haben: Mit einem Missbrauch des Urheberrechts, um in einem Machtkampf zwischen Konzernen darüber, wer die Kontrolle über unsere Aufmerksamkeit im Netz hat, Seite zu beziehen. Der dabei angerichtete Schaden für unsere Grundrechte, unabhängige Medien und europäische Startups wird billigend in Kauf genommen.
Verleger müssen kassieren, ob sie es wollen oder nicht
Es ist schwer zu übertreiben, wie weitreichend die Auswirkungen eines unveräußerlichen Rechts für kleine Verlage und den gesamten Nachrichtensektor wären.
Selbst wenn Verleger davon überzeugt sind, dass sie von der Verlinkung ihrer Inhalte (mit Anreißern) in Suchmaschinen, Nachrichtenaggregatoren und sozialen Medien profitieren – wie viele es sind – wären sie rechtlich dazu verpflichtet, dafür Geld zu verlangen. Je kleiner der Verlag, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Aggregatoren sie daraufhin einfach aus ihren Datenbanken entfernen. Das unveräußerliche Recht, das vermeintlich die Interessen der Verlage schützen soll, nimmt also insbesondere kleinen Verlagen einige der wichtigsten Möglichkeiten, ihr Publikum zu erreichen und größere Bekanntheit zu erlangen.
Mit dem Gesetz soll quasi ein Kartell geschaffen werden, aus dem keine Nachrichtenseite ausbrechen kann, wie das nach Einführung des deutschen Leistungsschutzrechts der Fall war.
Diese Idee ist bereits gescheitert
Weil das spanische “Canon AEDE” genau so ein unveräußerliches Recht vorschrieb, mussten viele spanische Nachrichtenaggregatoren ihre Dienste einstellen. Kleine Verlage hatten daraufhin mit Leser*innen-Schwund zu kämpfen. Als auch Google News dicht machte, beschwerten sich selbst diejenigen Verleger, die zuvor für das Gesetz lobbyiert hatten: Die Regierung solle Google doch auf irgendeine Art dazu zwingen, den Dienst weiter anzubieten.
Ein unveräußerliches Recht steht außerdem in direktem Konflikt mit dem Gebrauch von offenen Lizenzen wie Creative Commons. Europäischen Nachrichtenportalen wird es unmöglich gemacht, ihre Inhalte unter solche Lizenzen zu stellen. Erfolgreiche, innovative Unternehmen wie beispielsweise eldiario, deren Geschäftsmodell direkt auf Creative Commons aufbaut, würden darunter leiden – und das alles im Namen des vermeintlichen Schutzes von Qualitätsjournalismus.
Fakten urheberrechtlich schützen
Die Aufnahme von Nachrichtenagenturen als Rechteinhaber kann direkt auf jüngste Lobbybemühungen zurückgeführt werden. Mehrere Agenturen, unter anderem auch die DPA, gaben in einem offenen Brief unverfroren zu, dass sie nicht etwa unrechtmäßiges Kopieren ihrer Inhalte bekämpfen wollen, sondern wortwörtlich die „freie Veröffentlichung von Hyperlinks“. Und dennoch behaupten die Befürworter weiterhin, das Leistungsschutzrecht „Linksteuer“ zu nennen, sei übertrieben…
Im Vergleich zu Zeitungsartikeln berichten Agenturmeldungen häufig nur die wesentlichen Fakten zu Geschehnissen. Diese Inhalte unter ein unveräußerliches Leistungsschutzrecht zu stellen grenzt daher daran, ihnen die Kontrolle über die Verbreitung von bloßen Fakten zu gewähren – etwas, für dass das Urheberrecht nie vorgesehen war. Sogar die Berner Übereinkunft, das älteste noch geltende internationale Abkommen zum Urheberrecht, schließt explizit „Tagesneuigkeiten oder vermischte Nachrichten, die einfache Zeitungsmitteilungen darstellen“ aus dem Urheberrechtsschutz aus, um die Informationsfreiheit zu sichern.
Verbünde dich mit mir, und ich gebe dir die Hälfte von nichts
Nach fünf Jahren steht fest, dass das deutsche Leistungsschutzrecht unterm Strich ein Verlustgeschäft für Verleger ist.
Ein Anwalt für große deutsche Verlage hat kürzlich in einer parlamentarischen Anhörung gemeint, dass das Gesetz überhaupt nicht auf Mehreinnahmen abziele: “Es ist ein Verbotsvorbehalt. […] Das Ziel ist nicht, Lizenzgebühren zu kassieren.”
In diesem Licht wirkt das Angebot, imaginäre Gewinne mit den Autor*innen der Artikel, also den Journalist*innen, zu teilen, nicht gerade großzügig.
Keine Freiheit für Links ohne Freiheit für Anreißer
Für Einzelpersonen, die privat und ohne wirtschaftliche Interessen Nachrichtenausschnitte teilen, schlägt Voss eine Ausnahmeregelung vor. Dann könnten wenigstens Blogger*innen aufatmen, die ihre eigenen Plattformen betreiben, ohne dabei zur Kostendeckung bezahlte Links oder Werbebanner einzublenden. Allerdings bleibt in seinem Entwurf unklar, ob „privat“ hier als Gegensatz zu „professionell“ verwendet wird, oder zu „öffentlich“: Falls Gerichte die engere Auslegung wählen, könnte es sein, dass diese Ausnahme nicht einmal auf Blogposts zutreffen würde, sondern nur auf nicht-öffentliche Kommunikation wie E-Mails.
Jedenfalls teilen und kommentieren die meisten von uns Nachrichten heute nicht auf selbst betriebenen Seiten, sondern auf kommerziellen Plattformen wie Twitter oder Facebook. Solche Plattformen davon abzuhalten, zum Beispiel die Titel von Artikeln zu verbreiten, wie dieses Gesetz es vorsieht, schränkt demnach unsere Linkfreiheit ein.
Die außerdem vorgeschlagene Ausnahme für „Hyperlinks auf fremde Webseiten, die keine öffentliche Wiedergabe darstellen“ ist ohne rechtliche Wirkung. Heutzutage beinhalten Verlinkungen fast immer kurze Ausschnitte des Artikels, wie zum Beispiel den Titel (entweder, da er Teil der URL selbst ist, oder weil der Link mit einer automatisch generierten Vorschau angezeigt wird). Da der Gesetzesentwurf selbst solche kürzesten Ausschnitte schützt, würden Verlinkungen notwendigerweise geschützte Inhalte „öffentlich wiedergeben“. Daher wird die Ausnahme nicht greifen.
Das Gesetz würde rückwirkend für alle in den letzten 20 Jahren veröffentlichten Nachrichten gelten. Daher müssten alle existierenden Hyperlinks zu Artikeln der letzten 20 Jahre aktualisiert werden, um Gesetzesverstöße zu vermeiden: Eine monumentale bürokratische Aufgabe, die unserem Kulturerbe nachhaltig schaden wird. Aus Angst vor Klagen werden viele Betreiber ihre Archive einfach offline nehmen, anstatt den Aufwand auf sich zu nehmen, sie mit dem neuen Gesetz in Einklang zu bringen.
Fake news stützen, statt stürzen
Voss behauptet, dass das Leistungsschutzrecht auf irgendeine Weise das Phänomen der „Fake News“ bekämpfen würde. Ein geschickter Versuch, ein tagesaktuelles Thema zur Rechtfertigung heranzuziehen – bloß ist leider das Gegenteil der Fall.
Falschinformationen können in sozialen Netzwerken durch gezielte Werbekampagnen verbreitet werden: Mit Geld lassen sich Inhalte so vielen Nutzern wie möglich anzeigen. Dahingegen müssen sich seriöse Artikel, die solche Falschmeldungen entkräften, auf die organische Verbreitung ihrer Artikel durch einzelne Nutzer*innen verlassen.
Ein unveräußerliches Recht für Verleger, bezahlt zu werden, wann auch immer jemand Links (mit Anreißern) zu ihren Inhalten teilt, schafft absurde Anreize: Aus der Perspektive eines sozialen Netzwerks generieren dann gesponsorte Fehlinformationen Profite, wohingegen es sie etwas kostet, wenn Nutzer wahrheitsgetreue Artikel teilen. Welche Seite davon profitieren wird, ist klar.
Dass Axel Voss versucht, diese Maßnahme als Mittel gegen Fake News zu verkaufen, zeigt, wie oberflächlich sein Verständnis jener Probleme ist, deren Lösung seine Aufgabe ist.
Was wirklich helfen könnte: die Werbeindustrie regulieren
Obwohl es unumstritten ist, dass sich Werbeeinnahmen von Zeitungen hin zu Internetplattformen verlagert haben, ist das nicht auf Probleme im Urheberrecht zurückzuführen. Online-Plattformen haben sich für Werbekunden interessanter gemacht, indem sie weitreichende personenbezogene Daten ihrer Nutzer*innen sammeln, mit denen sie besonders gezielte Werbung schalten können.
Wir stecken mitten in der Debatte über den Cambridge-Analytica-Skandal und über Facebooks besorgniserregende Kontrolle über unsere Aufmerksamkeit im Netz – hier lässt sich auch eine klare Verbindung zu den Herausforderungen der Nachrichtenindustrie knüpfen:
Wenn wir Datenschutzrechte stärken und maßgeschneiderte Werbung beschränken, würde das viel mehr dazu tun, das Ungleichgewicht am Werbemarkt zwischen datensammelnden Onlineplattformen und und Inhaltsanbietern wie Zeitungen auszugleichen.
Allerdings lobbyieren große Verlagshäuser nicht für mehr Datenschutz, sondern sogar aktiv dagegen – wohl in der Hoffnung, eines Tages ihre eigenen Datenimperien zu führen, die unsere Privatsphäre aushöhlen.
Sag deinen Abgeordneten: Dieser Vorschlag gefährdet die Informationsfreiheit
Du kannst das E-Mail-Formular von SaveTheLink nützen, um deine*n Abgeordnete*n zu erreichen – ersetze den Vorschlagstext mit deinen eigenen Worten und erkläre, warum du von ihnen erwartest, dass sie den Vorschlag von Axel Voss ablehnen.
Noch effektiver ist es, deine Abgeordneten direkt anzurufen.
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.