Achtzehn Monate sind vergangen, seit die scheidende EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes appellierte:
Wir haben Vorbereitungsarbeiten, Dialoge, öffentliche Konsultationen, rechtliche und wirtschaftliche Studien durchgeführt. Wir haben endlos lang abgewägt, untersucht und analysiert. Es ist Zeit, zu handeln. Unser Binnenmarkt schreit nach einer Urheberrechtsreform.
Als Günther Oettinger vor mehr als einem Jahr das Ruder übernahm – im Gepäck klare Anweisungen vom Kommissionspräsidenten, „nationale Silos“ im Urheberrecht „einzureißen“ – macht er sich frisch ans Werk: Er beauftragte neue Vorbereitungsarbeiten, neue Dialoge, neue öffentliche Konsultationen und neue rechtliche und wirtschaftliche Studien.
Letzte Woche wurden endlich die weiteren Schritte präsentiert. Es ist ein kühner Plan „abzuwägen“ (6×), „zu untersuchen“ und „weiter zu analysieren“.
Im Sommer hat das Europaparlament seinerseits der Kommission – die ja als einzige EU-Institution Gesetze vorschlagen kann – im Reda-Bericht mitgeteilt, welche Maßnahmen es sich erwartet. Während nicht alle meiner auf der Hand liegenden Vorschläge von der Mehrheit angenommen wurden, konnte ich viele Verschlechterungen abwehren, und der Bericht blieb ein richtungsweisender Ruf nach fortschrittlichen Reformen.
Aber hat ihn die Kommission erhört? Vergleichen wir:
Die Urheberrechtsreform auf dem Prüfstand
ANLIEGEN | plÄnE DER EU-KOMMISSION | |
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Geoblocking abschaffen |
Das sind erste Schritte in die richtige Richtung, aber „dieser Inhalt ist in deinem Land nicht verfügbar“ wird uns auf Plattformen wie YouTube erhalten bleiben. „Roaming für Netflix“ ist nicht genug! |
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Mindestandards für Urheberrechtsschranken |
Die Ankündigung bleibt vage – es ist zweifelhaft, dass das zögerliche Vorgehen der Kommission in Mindeststandards resultieren wird, auf die sich Nutzer*innen europaweit verlassen können. |
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Alltägliche Kreativität im Netz legalisieren | Der Reda-Bericht forderte die Kommission auf, Lösungen für heutzutage übliche transformative Nutzungen wie Remix, Mashups und Fan Fiction zu finden – aber davon findet sich keine Erwähnung in ihren Plänen. | |
Text- und Datamining erlauben |
Diese Einschränkung könnte letztenendes die Rechtsunsicherheit von Forscher*innen erhöhen, anstatt sie zu beseitigen. Es sollte allen erlaubt sein, auch automationsunterstützt Daten auszuwerten, zu denen man rechtmäßigen Zugang hat. |
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Panoramafreiheit sichern |
Nur in der Hälfte der Mitgliedsstaaten hast du heute das Recht, selbst geschossene Fotos vom öffentlichen Raum frei weiterzuverwenden. Im Sommer schlossen sich 555.225 Menschen meinem Widerstand gegen europaweite Einschränkungen an, die im Parlament geplant wurden. Es ist diesen Menschen zu verdanken, dass das Thema nun auf der Agenda der Kommission gelandet ist – wir werden aber dranbleiben müssen, damit das Anliegen der Petition gänzlich umgesetzt wird: Volle Panoramafreiheit überall! |
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Leistungsschutzrecht verhindern |
Diese irrige Idee wurde vom Parlament bereits mehrfach abgelehnt. Der Reda-Bericht enthielt speziell Kritik der spanischen Implementation. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Kommission gegen jeden Widerstand darauf beharrt. |
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Urheberrechtsschranken absichern | Die besten Ausnahmen vom Urheberrecht helfen nichts, wenn Verlage deine Rechte einfach in einer Lizenzvereinbarung beschneiden können. Darum hatte das Parlament die Kommission aufgerufen, die Schrankenregelungen in tatsächliche Nutzer*innenrechte umzuwandeln, die nicht durch Verträge eingeschränkt werden können. Von dieser wichtigen Forderung findet sich kein Wort in den Kommissionsplänen. | |
Kulturschaffende stärken |
Es bleibt jedoch unklar, welche Maßnahmen dafür in Frage kommen. |
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Vergriffene Werke verfügbar machen |
Das wäre ein signifikanter Schritt in die richtige Richtung. Wie er genau umgesetzt werden soll, ist noch unklar – einzig eine Urheberrechtsschranke wäre sinnvoll. |
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Bildung erleichtern |
Gut so! Wir müssen jedoch sicherstellen, dass die harmonisierte Schranke keine Rechte einschränkt, die Lehrer*innen und Studierende heute in einigen Mitgliedsstaaten genießen. |
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Die Regeln für Bibliotheken updaten |
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Privatkopie |
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Parodien schützen | Das Parlament wies auf die besondere Bedeutung hin, die die Schranken für Parodie, Karikatur und Persiflage für die demokratische Debatte haben. Die Kommissin plant jedoch nicht, diese heute optionalen und sehr unterschiedlich implementierten Regelungen EU-weit festzuschreiben. | |
Allgemeingut bewahren | Der Reda-Bericht stellte die unkontroversielle Forderung auf, dass Werke, die der Allgemeinheit gehören, bei ihrer Digitalisierung nicht erneut unter das Urheberrecht fallen dürfen. Im Kommissionspapier findet sich dazu nichts. | |
Verbraucher*innenrechte für digitale Inhalte |
Um dem Ruf des Parlaments nach eindeutigen und umfangreichen Verbraucher*innenrechten gerecht zu werden, müssten die Komissionspläne erweitert werden, etwa um das Recht, Kopierschutzmaßnahmen zu legitimen Zwecken zu umgehen, digitale Inhalte weiterzuvererben, usw. |
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Interoperabilität herstellen | Das Parlament betonte die Notwendigkeit für die Kompatibilität von Inhalten, ohne die es zu Marktkonzentrationen kommt. Die Kommission sagt nichts zu Kopierschutzmaßnahmen (DRM), die dem oft entgegen stehen. | |
Schutzfristen unter Kontolle bringen | Der Reda-Bericht sprach sich gegen nationale Eigenheiten aus, die die Dauer des Urheberrechtsschutzes verlängern. Der kleine Prinz ist in Frankreich etwa 100 Jahre nach dem Tod von Saint-Exupéry geschützt, statt 70, wie es in der EU Standard ist, weil Frankreich Autor*innen, die im Krieg umgekommen, 30 zusätzliche Jahre gewährt. Das Parlament sprach sich auch gegen jegliche Ausweitung aus. Die Kommission behandelt das Thema gar nicht. |
Noch kannst du dich einbringen
Bisher wurde noch kein Gesetz erlassen – gemeinsam können wir immer noch den Umfang der kommenden Urheberrechtsreform beeinflussen. Der Moment, sich einzubringen, ist jetzt!
Aktuell bittet die Kommission um Stellungnahmen zur Regulierung von Onlineplattformen wie jenen, auf denen wir alle einen großen Teil unseres Tages verbringen – Wikipedia, YouTube, Facebook, Twitter, Instagram und so weiter. Einige Fragen betreffen das Urheberrecht: Sollen Plattformen etwa für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer*innen haften?
Die FixCopyright-Kampagne hat eine englischsprachige Seite gebaut, auf denen du die Urheberrechtsfragen der Konsultation bequem beantworten kannst. Die 15 Minuten, die die Teilnahme dauert, lohnen sich – die Antworten gehen direkt an die EU-Kommission und werden in einem offiziellen Bericht zusammengefasst. Das ist ein einfacher Weg, sich in der Debatte Gehör zu verschaffen:
Falls du mehr Zeit hast: Bei EDRi gibt es eine englischsprachige Ausfüllhilfe für die gesamte Konsultation, die etwa auch Fragen zur Regulierung der „Sharing-Economy“ enthält. Wenn du kein Englisch sprichst, kannst du das offizielle Formular der EU-Kommission verwenden – das aber für Laien nicht immer einfach verständlich ist.
Falls du nur eine Sekunde Zeit hast: Hilf bitte mit, andere auf die Befragung aufmerksam zu machen, zum Beispiel mit diesem Tweet:
Neue Regeln für Internetplattformen und das Urheberrecht? Die EU braucht JETZT deinen Input
Tweet this!
Du kannst den Fragebogen nur mehr bis Weihnachten ausfüllen – schieb’s nicht auf, mach jetzt mit und sag’s weiter! Legen wir Kommissar Oettinger einen unüberhörbaren Ruf nach einer effektiven Urheberrechtsreform auf den Gabentisch.
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.
Sehr geehrte Frau Reda,
ich sehr wenig erfreut über einen großen Teil Ihrer Stoßrichtung in dieser Frage. Jeder Bundesbürger zahlt bekanntlich etwa 17€ für den ÖR-Rundfunk. Ob das zu viel oder zu wenig ist, ist ansichtssache, aber mein gesamter Bekanntenkreis und ich informieren uns mindestens so sehr in öffentlich zugänglichen Medien wie im ÖRR. Das Entgelt für diese Medien ist jedoch verschwindend gering, da Online-Werbung wenig Geld abwirft.
Ich würde es für einen großen Verlust ansehen, wenn die Online-Angebote der Qualitätspresse weiter eingeschränkt würden und die Zeitungsverlage weiter schrumpfen würden. Wenn Sie gegen das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht sind, wäre ich sehr gespannt, welchen Gegenvorschlag für eine finanzielle Stützung der Presselandschaft hätten, etwa einen Anteil an der GEZ oder eine Steuer auf Netzzugang (fest/mobil). In den USA, die ein viel größerer Markt als der deutschsprachige ist, gibt es schon einen massiven Rückgang der Qualitätspresse und Massenentlassungen bei Journalisten.
Was ich bei dem Leistungsschutz-Gesetz nicht verstanden habe, ist, dass wenn man ein solches Recht auf europäischer Ebene einführen würde, die Aggregatoren praktisch genötigt wären, die Lizenzen zu bezahlen, da sie sonst auf keine Qualitätsmeldungen mehr zurückgreifen könnten und nur unsichere Privatquellen verlinken könnten. Vielleicht gibt es einen Link, der dieses Thema behandelt.
Zum Thema DRM und e-books bzw. Roaming ist darauf hinzuweisen, dass die ganze Content-Branche unter hohem finanziellen Druck leidet. Amazon hat z.B. in den USA bereits mehr als 50% Marktanteil, so dass es den Verlagen die Konditionen diktieren kann. Die Erlöse für e-books sind noch recht niedrig im Vergleich zum Papierdruck und ein Aufweichen des DRM würde sie weiter senken.
Schlussendlich ist zu sagen, dass wenn man Content immer billiger macht, immer weniger Content erstellt wird oder nur noch „Hobby-Content“. Kaum eine Privatperson hat jedoch die Mittel, investigativen Journalismus zu machen, Filme zu drehen oder Sachbücher zu schreiben. Es droht somit ein Ausdünnen und Verarmen der Medienlandschaft. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein.
MfG J. Heisenberg
Die Einführung eines sogenannten Leistungsschutzrechts auf EU-Ebene käme de facto einer „Google-Steuer“ in Höhe von 6 bis 11 Prozent des Umsatzes gleich. Kleinere Aggregatoren würden aus dem Markt gekegelt. Herrn Heisenberg empfehle ich mal beim Heise-Verlag (einem IT-Fachverlag) nach passenden Links zum Thema zu suchen. Dieser Verlag positioniert sich, übrigens genauso wie Spiegel, FAZ, SZ, Zeit und Handelsblatt gegen diese (m.E. von Verlagslobbyisten auf den Weg gebrachte) Neuregelung, die in Deutschland leider – trotz Protesten – seit 1.8.2013 Gesetzesform erlangt hat.