All our base are belong to (the) US? – TPP aus japanischer Perspektive
Dies ist ein Gastbeitrag von Rio (Twitter:@ld4jp), Praktikantin aus Japan in Julias Büro
Am 5. Oktober 2015, nach 5 Verhandlungsjahren, haben sich die verhandelnden Staaten auf eine finale Version von TPP, dem Transpazifischen Partnerschafts-Vertrag, geeinigt. Diese Verhandlungen fanden gänzlich hinter geschlossenen Türen statt, und offizielle Dokumente wurden so gut wie gar nicht veröffentlicht, sodass für die Öffentlichkeit Wikileaks zur einzigen Informationsquelle über den Verhandlungsstand und die Inhalte des Vertragswerks wurde.
Um mehr Aufmerksamkeit auf die möglichen Folgen von TPP auf Japans Gesetzgebung und Wirtschaft zu lenken, hat ein beträchtlicher Teil der japanischen Zivilgesellschaft in den letzten Jahren öffentliche Proteste organisiert. Die meisten dieser Aktionen bezogen sich auf potentielle Probleme für die Landwirtschaft, aber auch Bürgerrechtsaktivist*innen sind aufgrund der verhandelten Änderungen am Urheberrecht besorgt um die Rechte japanischer Internetnutzer*innen. Japanische Organisationen für digitale Rechte wie MIAU, Creative Commons Japan, thinkC und thinkTPPIP beispielsweise haben sich bei Protestaktionen gegen die in TPP enthaltenen Urheberrechtsklauseln ausgesprochen. Nichtsdestotrotz sind drei kritische Klauseln in den finalen Vertragstext aufgenommen worden.
Eine Besonderheit der Proteste ist der Umstand, dass Online-Aktivitäten in Japan generell in einem sehr engen Zusammenhang mit „Otaku“ (Japanische Anime-Manga Fankultur) stehen, weswegen sich die Hauptargumente der Aktivist*innen auf die existentiellen Gefahren beziehen, die der Otaku-Kultur durch die Veränderungen drohen. Im Folgenden findest du eine Liste der Paragraphen aus TPP, die für japanische Internetnutzer*innen laut den Aktivist*innen besonders negative Auswirkungen haben werden.
Verlängerung des Urheberrechtsschutzes: Werke bleiben länger außerhalb der Gemeinfreiheit
Laut Artikel QQ.G.6 Artikel QQ.G.6 des Auszugs von TPP, der an Wikileaks weitergegeben wurde, soll die Laufzeit von Urheberrechten in Japan von heute 50 auf 70 Jahre nach dem Tod des Autors angehoben werden. Der japanische Urheberrechtsexperte Kensaku Fukui warnt diesbezüglich, dass die Verlängerung der Laufzeit das Exportdefizit der japanischen Kreativindustrie vergrößern wird. Zurzeit liegt dieses jährlich bereits bei mehr als 600 Milliarden ¥ (44 Milliarden €), wobei etwa 70% des Defizits aus dem Handel mit den Vereinigten Staaten stammen. Die Laufzeitverlängerung, die in Europa schon länger Teil der Gesetzgebung ist, ist makroökonomisch nicht sehr sinnvoll für Länder wie Japan, dessen Unterhaltungsindustrie in erster Linie Produktionen umfasst, die es noch nicht so lange gibt (beispielsweise Pokémon, Dragon Ball, Sailor Moon). Im Gegensatz hierzu stammen viele erfolgreiche US-amerikanische Entertainment-Produkte bereits aus den 1920er und 1930er Jahren (zum Beispiel Micky Maus, Pu der Bär, Superman). Da die Laufzeitverlängerung des Urheberrechtes ausschließlich älteren Werken zugutekommt, schwächt sie also die Position der japanischen Wirtschaft im internationalen Handel mit geistigem Eigentum weiter.
Hinzu kommt, dass die Verlängerung eine bedeutsame Quelle des kulturellen Wohlstandes Japans bedroht: viele gemeinnützige Projekte aus Forschung, Bildung und Kultur könnten durch die Regelung Schaden nehmen. Ein Beispiel istAozora Bunko, die „Bibliothek des blauen Himmels“. Dem Projekt Gutenberg oder der Europeana ähnlich, existiert die Aozora Bunko, um tausende Werke aus der japanischen Literatur, deren Urheberrechte ausgelaufen sind, zu sammeln und der Öffentlichkeit bereitzustellen. Die neue Gesetzgebung, die TPP mit sich bringen wird, wird die Arbeit solcher Projekte ins Stocken bringen. Das liegt daran, dass die Klärung der Urheberrechte viele Ressourcen bindet – selbst, wenn die Autor*innen bereits mehrere Jahrzehnte lang verstorben sind.
Werke, welche noch immer vom Urheberrecht geschützt sind, deren Rechteinhaber aber nicht gefunden werden können, werden „verwaiste Werke“ genannt. Die Verlängerung des Urheberrechts wird aller Voraussicht nach auch ihre Anzahl vergrößern und somit den Zugang zum japanischen Kulturerbe weiter einschränken. Das Urheberrecht ist dazu da, eine Balance zu finden: einerseits soll es Anreize für Kulturschaffende hervorbringen und andererseits dem Aufbau eines kulturellen Gemeinguts dienen. Da neu geschaffene Kulturgüter oft auf bereits bestehende Werke bezugnehmen, ist davon auszugehen, dass die Verlängerung einen negativen Effekt auf die zukünftige kulturelle Vielfalt Japans haben wird.
Urheberrecht im Zivilrecht: Sanktionen jenseits vom eigentlichen Schaden
Laut Artikel QQ.H.4 sollen Strafen selbst für solche Urheberrechtsverletzungen eingeführt werden, bei denen es keinen Beweis für tatsächliche Schädigungen gibt: In den Paragraphen (7) und (8) wird ausgeführt, dass Gerichte diese zusätzlichen Strafzahlungen nach eigenem Gutdünken festlegen können, solange sie alle Umstände berücksichtigen, unter anderem auch die Art der Urheberrechtsverletzung und die Notwendigkeit einer abschreckenden Wirkung. Auf diese Art und Weise würden Strafen verhängt, die in unverhältnismäßig hohem Maße über den dem Rechteinhaber eigentlich entstandenen Schaden hinausgehen.
Schon seit einer Gesetzesänderung von 2012, noch vor dem Beginn der TPP-Verhandlungen, gelten online begangene Urheberrechtsverletzungen laut Japans nationalem Gesetzbuch als Straftaten (ungeachtet dessen, dass unter „online begangenen Urheberrechtsverletzungen“ auch unsere täglichen Aktivitäten im Internet verstanden werden. Zum Beispiel das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Werke ohne explizite Zustimmung der Rechteinhaber, das Kopieren von DVDs und CDs oder die Umgehung von DRM). Hierfür wurde ein neues Strafrecht verabschiedet, welches vergleichbar mit dem US-Zivilrecht Strafen für Urheberrechtsverletzungen stark verschärft hat. Straftätern drohen bis zu 10 Jahre Gefängnis und Geldbußen von bis zu 10 Millionen ¥ (75 000 €). Japan versucht damit, sich dem geltenden amerikanischen Recht anzupassen, das für Urheberrechtsverletzungen im Zivilrecht Strafen von bis zu 150.000 US $ (135.000 €) vorsieht. Dank TPPs Artikel QQ.H.4 wird Japan sich bald nicht nur im Strafrecht an den USA orientieren, was das Strafmaß bei Urheberrechtsverletzungen betrifft, sondern zusätzlich auch im Zivilrecht. Richter*innen erhalten somit die Möglichkeit, gesetzliche Schadensersatzansprüche oder zusätzliche Zahlungen zu verhängen. Für Nutzer*innen ist somit unvorhersehbar, wie hoch das Strafmaß sein könnte. Diese rechtliche Ungewissheit und die Unverhältnismäßigkeit der Strafen werden für Forschung, IT-Unternehmen und Nutzer*innen eine abschreckende Wirkung haben, wenn sie mit potentiell urheberrechtlich geschützten Materialen umgehen (sogenannte Chilling Effects).
Urheberrecht im Strafrecht: Cosplay und Fanfiction in Gefahr?
Das Gruselkabinett der Maßnahmen geht jedoch über diese Änderungen am Zivilrecht hinaus: Eine Änderung des Strafrechts, die es erlauben würde, Urheberrechtsverstöße ohne formelle Anzeige des Rechteinhabers zu verfolgen, ist ebenfalls eine große Gefahr für die Fans des Anime-Manga. Japans Otaku-Kultur, welche in erster Linie aus von Fans erzeugter Kunst besteht, ist in einer legalen Grauzone gewachsen und ist nicht ohne diese denkbar. Nach der heutigen Japanischen Rechtslage können Urheberrechtsverletzungen nur geahndet werden, wenn Rechteinhaber sie anzeigen. Cosplay und Fan Fiction – abgeleitete Kunstwerke, welche potentiell mit dem Urheberrecht kollidieren – wurden bisher sehr selten zur Anzeige gebracht, da Rechteinhaber von Anime-Manga-Werken anerkennen, dass ein Teil Ihres Erfolges darauf beruht, dass man von Fans hergestellte Werken nicht urheberrechtlich verfolgt. Paragraph 6 (g) von Artikel QQ.H.7 des geleakten Texts stellt dieses Win-win Verhältnis von Rechteinhabern und Endverbrauchern in Frage. Statt der Rechteinhaber könnte somit jede „kompetente Instanz“ klagen. Da es in Japan auch das aus den USA bekannte „Fair Use“-Prinzip nicht gibt, drohen Nutzern bei einfachen Verstößen Strafen in unvorhersehbaren Höhen – möglicherweise gegen den Willen der jeweiligen Rechteinhaber. Im Text des Handelsvertrags wird zwar davon gesprochen, dass zu ahndende Verstöße »absichtlich und in kommerziellem Ausmaß« (Englisch: „wilfully and on the commercial scale“) geschehen müssen, aber es ist zur Zeit unklar, wie das kommerzielle Ausmaß bestimmt werden soll – Beispiele aus Europa lassen hier Schlimmes befürchten. Es kommt letztendlich auf die Ratifizierung und Umsetzung in nationales Recht an.
Das japanische Urheberrecht ist in den vergangenen Jahren wesentlich restriktiver geworden. Wie bereits erwähnt, erhielt es 2012 ein großes Update – oder vielmehr ein Downgrade – welches neue scharfe Strafen für Urheberrechtsverletzungen im Strafrecht und eine gänzlich neue Klausel gegen die Umgehung von DRM mit sich brachte. Jetzt, 3 Jahre nachdem diese Änderung in Kraft trat, kriegen wir TPP. Wir kriegen somit eine verlängerte Laufzeit des Urheberrechtsschutzes, die es unmöglich macht, das kulturelle Erbe Japans für alle verfügbar zu machen. Wir kriegen mit TPP die Kriminalisierung von alltäglichen Onlineaktivitäten und -techniken, selbst wenn der jeweilige Rechteinhaber keinerlei Probleme mit diesen hat. Zu guter Letzt kriegen wir mit TPP eine Ausweitung der Haftung von ISPs für Inhalte, die über ihre Zugänge online gestellt werden – was übrigens auch eine Gefährdung für die Privatsphäre der Nutzer*innen darstellt und möglicherweise auch abschreckend auf potentielle Whistleblower*innen wirken wird (obgleich einige dieser Aspekte bereits geltendes japanisches Recht sind). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das zukünftige japanische Urheberrecht, wenn es sich an TPP orientiert, eine der restriktivsten Urheberrechtsregelungen der Welt werden könnte. Somit stellt sich die Frage, wieso die japanischen Bürger*innen, welche weltweit der Digitalisierung gegenüber als äußerst offen wahrgenommen werden, diese unglaublich Nutzer*innen-unfreundlichen Urheberrechtsregelungen akzeptieren? Es ist an der Zeit, zu handeln! Das TPP-Kapitel zu geistigem Eigentum muss zurückgenommen werden!
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.