Morgen, am 5. Juli Am 12. September stimmen die 751 Mitglieder des Europäischen Parlaments darüber ab, ob die Pläne für Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht einfach durchgewunken werden, oder nochmals überarbeitet werden.
Was genau kommt zur Abstimmung? Hier geht es zum kompletten Gesetzesentwurf – und im Folgenden schlüssle ich auf, wie die Artikel 11 und 13 auch dich betreffen, wenn wir es nicht schaffen, sie aufzuhalten. (Anm.: der Entwurfstext liegt derzeit nur auf Englisch vor. In den Zitaten unten habe ich minimale Anpassungen zur besseren Verständlichkeit gemacht, ohne aber den Sinn zu entstellen.)
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Artikel 11: Ein Leistungsschutzrecht mit unwirksamen Ausnahmen
1. Member States shall provide press publishers with the [exclusive rights to reproduce and make available works they publish] so that they may obtain fair and proportionate remuneration for the digital use of their press publications by information society service providers.
Auf die folgende Weise etabliert dieser Text eine „Linksteuer“:
1. Kleinste Textausschnitte werden geschützt
Das Urheberrecht schützt Kreativität: Werke müssen die sogenannte „Schöpfungshöhe“ erreichen, also eine originelle kreative Leistung darstellen, um darunter zu fallen. Mit dem Gesetzentwurf wird kein neues Urheberrecht geschaffen (das eine*r Autor*in gehört), sondern ein Leistungsschutzrecht (das dem Verleger gehört) – und für solch einen Schutz braucht es kein Mindestmaß an Kreativität.
Da im vorliegenden Text keine andere Mindesthürde eingeführt wird, wären sogar kleinste Ausschnitte aus Artikeln betroffen, zum Beispiel rein faktische Überschriften wie: „Angela Merkel trifft Theresa May“.
2. Links enthalten solche Textausschnitte
Links, die einem nicht sagen, wo sie hinführen, sind so sinnlos wie unbeschriftete Wegweiser. Deswegen enthalten Links in aller Regel kurze Textausschnitte aus dem Inhalt, auf den sie verweisen – meist ist das der Titel.
Ähnlich ist es, wenn du eine Webadresse bei einem Dienst wie Facebook, Twitter oder Reddit postest. Zu deinem Link wird dann automatisch ein kleines Vorschaubild und einen Halbsatz aus dem Artikel angezeigt. Das machen diese Plattformen nicht, um sich den Inhalt unter den Nagel zu reißen – sondern um Werbung für ihn zu machen: dank diesem Ausschnitt wird der Link viel eher angeklickt. Tatsächlich machen sich die Verlage oft viel Mühe, diese Vorschau genau so zu gestalten, wie sie das wollen, um Leser*innen zum Klick zu bewegen.
Wenn Artikel 11 in Kraft tritt, erhalten Presseverlage ein Exklusivrecht, derartige Textausschnitte zu veröffentlichen – und damit auch derartig illustrierte Links. Alle anderen müssen dann mit ihnen eine Lizenz aushandeln.
(Aber kann man deswegen von einer „Linksteuer“ sprechen? „Verpflichtung zur Lizenzierung von Textausschnitten“ wäre präziser – aber für Laien unverständlich. Und die Verleger versprechen sich vom Leistungsschutzrecht, dass es ähnlich wie eine Steuer funktioniert: Sie wollen nicht, dass durch die Lizenzierungsverpflichtung weniger Textausschnitte genutzt werden, sondern dass sie für ihre Nutzung zusätzlich bezahlt werden. Deswegen steht im Erwägungsgrund 32: „The listing in a search engine should not be considered as fair and proportionate remuneration“: Die Dienstleistung einer Suchmaschine, Zeitungsartikel auffindbar zu machen, soll nicht als ausreichende Vergütung für die dafür eingesetzten Textausschnitte interpretiert werden können.)
Unwirksame Ausnahmen
1a. [This article] shall not prevent legitimate private and non-commercial use of press publications by individual users.
Während die EU-Kommission noch von jedem eine Gebühr für Textausschnitte erheben wollte, also auch von Privatpersonen, will der Rechtsausschuss des Parlaments (JURI) dies auf Internet-Plattformen beschränken.
Aber natürlich sind solche Plattformen genau das, was Privatpersonen heute benutzen, um Zeitungsartikel zu teilen. Fast niemand betreibt sein eigenes Blog: Es sind unsere Profile auf kommerziellen Diensten, über die wir unsere Meinung äußern.
Dieses Gesetz sieht vor, dass Plattformen uns davon abhalten müssen, Links (mit Textausschnitten) zu teilen, für die sie keine Lizenzvereinbarungen abgeschlossen haben. Effektiv bedeutet das eine Einschränkung unserer Möglichkeit, uns zu nicht-kommerziellen Zwecken mit unseren Freunden über das Tagesgeschehen auszutauschen.
Es ist illusorisch zu glauben, dass alle Plattformen einfach Lizenzvereinbarungen mit allen Nachrichtenquellen und für alle EU-Mitgliedsstaaten treffen werden. Das ist schlicht nicht machbar. Stattdessen wird das Gesetz viel eher eine neue Ebene von Geoblocking etablieren, mit Fehlermeldungen wie dieser:
Am stärksten davon betroffen sein werden davon EU-Bürger*innen in den kleinsten Mitgliedsstaaten, sprachliche Minderheiten und diejenigen, die weniger bekannte Nachrichtenquellen verlinken wollen. Die Folge: Diskriminierung auf Grundlage des Wohnsitzes und eine Einschränkung der Medienvielfalt.
2a. [This article] shall not extend to acts of hyperlinking.
Wie schon oben erklärt, enthält das, was wir gewöhnlich als „Link“ bezeichnen, routinemäßig Textausschnitte. Weder in diesem, noch irgendeinem anderen EU-Gesetz ist definiert, dass der Ausdruck „act of hyperlinking“ die Reproduktion von Textausschnitten (oder auch nur von Überschriften) abdeckt. Auch vom Europäischen Gerichtshof gab es keine dementsprechende Entscheidung. Also tut er es nicht. Somit ist diese Ausnahme wirkungslos.
Diese „Ausnahme“ wird erlauben, Links wie diesen zu veröffentlichen: „Lies einen BBC-Artikel über dieses Gesetz“ – aber nicht jene, die wir gewohnt sind. Diese Zeile ist Augenwischerei, um die Öffentlichkeit zu beruhigen.
(34) Member States should be able to subject the right to the same provisions on exceptions and limitations as [copyright]
Mehrere Probleme untergraben diesen Absatz: Zunächst handelt es sich um eine optionale („should“) Bestimmung, somit werden die EU-Mitgliedsstaaten sie alle ganz unterschiedlich in nationales Recht umsetzen – ein weiterer Fehlschlag in einem Gesetzespaket, das eigentlich einen „einheitlichen digitalen Binnenmarkt“ (Digital Single Market) schaffen soll.
Zweitens gibt es keine Urheberrechtsschranke für Anreißer. Einige Arten von Textausschnitten könnten, unter gewissen Voraussetzungen, in einigen Mitgliedsstaaten unter das Zitatrecht fallen. Aber in vielen zielt das Zitatrecht auf Verweise in wissenschaftlichen Aufsätzen ab, und nicht auf Textausschnitte, die auf Social Media-Profilen geteilt werden. Sie erlauben Zitate nur im Kontext eines größeren, seinerseits urheberrechtlich geschützten Werks, das sich kritisch mit dem Zitierten auseinandersetzt. Auf viele Links trifft dies nicht zu. Um ein anderes Beispiel zu nennen: das Französische Zitatrecht gilt nicht für Bilder. Somit würde es auch keine Artikel-Vorschaubilder erlauben.
Diese Ausnahmen sind also ineffektiv und werden die Linkfreiheit, wie wir sie heute genießen, nicht erhalten.
Fazit:
Artikel 11, wie er dem Parlament vorliegt, bedeutet verheerende Einschränkungen für eine alltägliche Handlung im Netz: das Teilen von Nachrichten. Die Kritik von Europas führenden Akademiker*innen im Bereich Urheberrecht gilt unverändert weiter, wie sie auch selbst bestätigen: Für das Leistungsschutzrecht gibt es keine wirtschafliche Grundlage, es wird den freien Informationsfluss einschränken, wird Journalist*innen nicht helfen und kleinen Verlegern schaden. Die Abgeordneten sollten es ablehnen.
Ruf jetzt deine Abgeordneten an, um zu verhindern, dass Artikel 11 durchgewunken wird!
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Artikel 13: Uploadfilter, schlecht versteckt
Fangen wir damit an, wer von Artikel 13 betroffen ist:
2. 4a. ‘Online content sharing service’ means a [web] service one of the main purposes of which is to store and give access to the public to copyright protected works uploaded by its users, which the service optimises.
(37a) ... [services that] optimise content, including amongst others promoting, displaying, tagging, curating, sequencing the uploaded works ...
In anderen Worten: Artikel 13 gilt für jede Plattform, die Uploads erlaubt, und jede App, mit der wir Inhalte posten können.
Die Formulierung „urheberrechtlich geschützte Werke“ (copyright protected works) bedeutet nicht „gegen Urheberrechte verstoßende Werke“ – sondern alle Werke, die automatisch urheberrechtlichen Schutz erlangen, wie Texte, Fotos und Videos. Also praktisch alle Posts und Uploads. Wenn zusätzlich unter das „Optimieren“ von Uploads sogar deren „Anzeige“ fällt, bedeutet auch das keine Einschränkung der Bestimmung.
Aber Moment: im nächsten Satz finden sich eng gefasste Ausnahmen für Wikipedia, GitHub, eBay, einige wissenschaftliche Archive und für private Cloud-Speicher (aber bloß jene, die keine „Teilen“-Funktion haben). Diese Ausnahmen folgen keiner bestimmten Logik. Sie sind nur dazu gedacht, die bislang lautesten Kritiker*innen ruhigzustellen – aber was ist mit all den Plattformen, deren User*innen den EU-Gesetzgebungsprozess nicht so aufmerksam verfolgen, oder die noch überhaupt nicht gegründet wurden?
1a. [...] Online content sharing service providers perform an act of communication to the public and shall conclude fair and appropriate licensing agreements with rightholders [...]
Das ist ein radikaler Vorstoß des Rechtsausschusses, der über den Vorschlag der Kommission noch weit hinaus geht: Plattformen sollen für Urheberrechtsverstöße ihrer User*innen unmittelbar haftbar gemacht werden. Das ist eine eine existentielle Gefahr für alle Internetplattformen, auf denen man Inhalte posten oder hochladen kann.
Indem definiert wird, dass Plattformen – und nicht ihre User – diejenigen sind, die hochgeladene Materialien „öffentlich wiedergeben“, werden sie ebenso haftbar für die Handlungen ihrer User gemacht, als wenn sie sie selbst begangen hätten. Stellen wir uns vor, ein Unternehmen entwickelt eine App, mit der User*innen Videos ihrer Katzen teilen können. Wenn auch nur eine*r unter Millionen die CatVideoWorld3000-App benutzt, um einen Hollywoodfilm im Kino abzufilmen, statt eine Katze, wäre das rechtlich genau so schlimm, wie wenn die Angestellten des Unternehmens den Film absichtlich und bewusst zur Verfügung gestellt hätten, um daraus Profit zu schlagen. The Pirate Bay, MegaUpload und Napster waren in den Augen des Gesetzes viel unschuldiger, als es in Zukunft jede Plattform mit einem Upload-Formular wäre.
Um die Verpflichtung zu erfüllen, „Lizenzverträge mit Rechteinhabern [abzuschließen]“, müssten Internetplattformen im Vorfeld Lizenzen für alle urheberrechtlich geschützten Werke auf der Welt abschließen. Noch nicht einmal ein Gigant wie Spotify schafft es, sämtliche Musik zu lizenzieren – dabei ist das viel einfacher, als beispielsweise alle Fotos, die es auf der Welt gibt, oder alle kreativen Texte zu lizenzieren. Es ist schlicht unmöglich.
In the absence of licensing agreements online content sharing service providers shall take appropriate and proportionate measures leading to the non-availability of copyright or related-right infringing works, while non-infringing works shall remain available.
Wir haben bereits festgestellt, dass die „Abwesenheit von Lizenzvereinbarungen“ der Standardfall sein wird, der für die meisten Posts und Uploads im Internet gelten wird. Keine Plattform wird in der Lage sein, zu garantieren, dass sämtliche Uploads von Usern unter jene Lizenzvereinbarungen fallen, die sie abgeschlossen hat – also müssen alle Plattformen sich an diese Bestimmung halten.
Aber was ist gemeint mit „Maßnahmen, die zur Nicht-Verfügbarkeit von urheberrechtlich geschützten Materialien führen“? Eine weitere Passage gibt Hinweise darauf:
(38) [...] measures to ensure the protection of works uploaded by their users, such as implementing effective technologies.
Es geht also um „effektive Technologien“, „die zur Nicht-Verfügbarkeit [von unlizenzierten Werken] führen“. Es ist klar, dass damit Uploadfilter gemeint sind, die jeden hochgeladenen Beitrag vor der Veröffentlichung auf Verstöße prüfen sollen.
Wir wissen, dass solche Filter legitime Akte der freien Meinungsäußerung blockieren werden (unter anderem Memes – aber bei weitem nicht nur): Maschinen können rechtmäßige Nutzungen wie Zitate nicht von Urheberrechtsverstößen unterscheiden.
Das Gesetz mag zwar den Anspruch stellen, dass „Werke, die keine Verstöße enthalten, verfügbar bleiben sollen“. Wenn aber Plattformen direkt haften, wenn sie Verstöße nicht vorab blockieren, während das fehlerhafte Blockieren im schlimmsten Fall zu User-Beschwerden führt, wird jede Plattform aus Selbstschutz im Zweifelsfall erst mal blockieren. Wir können uns auf Fehlermeldungen wie diese einstellen:
Den endgültigen Hinweis auf die Intention des Gesetzes liefert der folgende Passus, für den dieselben Abgeordneten im Rechtsausschuss gestimmt haben:
(39c) The content recognition technologies market is well developed already [...] However, the absence of clear legal obligations to use these technologies enables dominant market operators to refuse to use those tools [...]
Spätestens jetzt kann nicht mehr geleugnet werden: Der Sinn und Zweck von Artikel 13 ist und bleibt die Schaffung von „klaren rechtlichen Verpflichtungen zur Nutzung“ von „content recognition technologies“ – also von Algorithmen, die Inhalte prüfen.
In einem anderen Absatz findet sich etwas, was auf den ersten Blick nach Schutzmaßnahme aussieht:
1b. Members States shall ensure that the implementation of such measures [...] shall in accordance with Article 15 of [the E-Commerce Directive], where applicable not impose a general obligation on online content sharing service providers to monitor the information which they transmit or store.
„No general monitoring“ würde heißen, dass es keine Uploadfilter geben darf. Aber bevor ihr euch zu früh freut: Das gilt nur für Plattformen, für die die Haftungsbeschränkung aus der eCommerce-Richtlinie gilt. Und im Gesetzesentwurf wird das für Plattformen, die Uploads erlauben, explizit ausgeschlossen:
(38) Online content sharing service providers [...] cannot benefit from the liability exemption provided for in Article 14 of the E-Commerce Directive.
Die einzigen Dienste, die nicht überwachen müssen, sind jene, die unter die Artikel 14 und 15 der eCommerce-Richtlinie (die sich auf einander beziehen) fallen: Reine Hosting-Provider (Webspace-/Server-Provider). Plattformen, die Posts oder Uploads erlauben, müssen das hingegen schon.
Fazit:
Obwohl er weniger beängstigend formuliert ist, etabliert Artikel 13 in seiner aktuellen Form weiterhin genau jene „Zensurmaschinen“, die der Erfinder des World Wide Web einen „beispiellosen Schritt in Richtung Überwachung und Kontrolle“ genannt hat. Unabhängige Wissenschaftler*innen stimmen dieser Einschätzung zu.. Die Abgeordneten sollten dem Text nicht zustimmen.
In Zusammenspiel mit der erdrückenden Haftung für jegliche Verstöße, die aus Versehen durchrutschen, wäre es ein Wunder, wenn überhaupt noch Posts oder Uploads online gehen, die nicht von Hollywood oder der Musikindustrie quasi händisch freigegeben wurden. Das Internet wird dadurch immer mehr dem Kabelfernsehen gleichen, wo einige wenige große Player bestimmen, was veröffentlicht werden darf.
Ruf jetzt deine Abgeordneten an, um zu verhindern, dass Artikel 13 durchgewunken wird!
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.
Hallo Frau Reda,
ich denke dass dieses Gesetz ist eine große Sauerei und wünsche Ihnen viel Erfolg in ihrer Bemühungen dagegen zu kämpfen, damit auch meine Enkelkinder Zugang zum freien Internet haben werden.
Liebe Grüße
Georgeta Vollbrechtshausen
Klasse Arbeit mit Erfolg gekrönt. Danke
Klasse. Danke für den erfolgreichen Einsatz