„Geoblocking ist notwendig, um die kulturelle Vielfalt in Europa zu schützen“: Dieses Argument war in der vergangenen Woche in drei verschiedenen Ausschüssen des Europaparlaments immer wieder zu hören.

Auf der Tagesordnung: Mein Bericht zur Evaluation des Urheberrechts, in dem ich mich dafür einsetze, dem Urheberrecht ein Update auf das Internetzeitalter zu verpassen und gemeinsame europäische Regeln zu finden, um der heutigen Nachfrage nach grenzübergreifendem Zugang zu Kultur nachzukommen. Abgeordnete der großen Parteien und großen Mitgliedstaaten attackieren nun aber diese Vorschläge und wollen Landesgrenzen im Internet verfestigen.

Eine Abgeordnete wartete mit dieser Analogie auf: „Ich kann in Deutschland in keinem Supermarkt und in keiner Bäckerei ein finnisches Brot kaufen. Warum? Das würden bei uns viel zu wenige kaufen. Deswegen bietet der Markt mir das nicht an. Geh ich jetzt hin und fordere von der Europäische Kommission, dass ich dieses Produkt bitteschön gefälligst in meinem Supermarkt kaufen muss?!“

Diese Aussage habe ich mal auf den Prüfstand gestellt. Dieses 3-Minuten-Video zeigt, was dann passierte:

Einen Tweet und wenige Stunden später war ich stolze Besitzerin eines traditionellen finnischen Brotlaibs. Es stellt sich heraus, dass es tatsächlich keine restriktiven begrenzten Brotlizenzsysteme gibt, die Menschen aus anderen Ländern davon abhalten, die Produkte finnischer Bäckereien zu genießen.

Es scheint so, als sollten sich Politiker*innen bei der Einschätzung des Interesses an grenzüberschreitendem Austausch nicht auf ihr Bauchgefühl verlassen. Die Kulturindustrie hat in der Urheberrechtskonsultation der EU im vergangenen Jahr ebenfalls behauptet, es gäbe keine ungestillte Nachfrage an grenzüberschreitenden Kulturangeboten – während tausende Nutzer*innen antworteten, dass der Zugang zu kulturellen Onlinediensten aus anderen Ländern ein ständiges Problem in ihrem Alltag darstellt.

Ja, Europa hat einen vielseitigen Kreativmarkt mit vielen Sprachen und regionalen Besonderheiten. Lasst uns diese Vielfalt aufwerten, indem wir sie leichter zugänglich machen, anstatt sie hinter künstlichen nationalen Grenzen im Internet wegzusperren.

Wie ist der kulturellen Vielfalt gedient, wenn Menschen in Belgien keine Möglichkeit haben, sich legal ein Cricketspiel anzuschauen? Wenn ethnische Minderheiten in Grenzregionen, Reisende, Migrant*innen, Austauschstudierende usw. durch Netzsperren daran gehindert werden, kulturelle Werke aus ihrer Heimat zu genießen oder anderen bekannt zu machen? Wenn französische Staatsbürger*innen auf der Insel Réunion (deren IP-Adressen in Afrika registriert sind) von vielen französischen Onlineangeboten ausgesperrt sind?

Ich bin mir sicher, dass diese Abgeordneten den Status Quo nur mit den besten Absichten vehement verteidigen. Aber es wird Zeit, dass sie verstehen:

Am Ende wird Urheberrechts-Protektionismus der europäischen Kultur nicht nützen, sondern schaden. Tweet this!

  1. Urheberrechts-Protektionismus droht europäische Kulturschaffende in künstlichen nationalen Grenzen einzusperren, die durch Geoblocking durchgesetzt werden. Dadurch wird ihnen ein globales Publikum verwehrt.
  2. Urheberrechts-Protektionismus drängt europäische Kulturschaffende und Medienunternehmen dazu, an obsoleten Geschäftsmodellen festzuhalten, die im Informationszeitalter einfach nicht mehr funktionieren. Er entfernt Anreize für die Anpassung an neue Gegebenheiten und für Innovation. Ein Wirtschaftszweig, dessen Geschäftsmodelle durch die Politik zu 100 Prozent vor Veränderungen geschützt sind, wird nicht derjenige sein, der die Kulturfinanzierungsmodelle der Zukunft entwickelt – Modelle, die Vorteile aus dem Reichtum des digitalen Zeitalters ziehen, anstatt zu versuchen, die Knappheit kultureller Werke künstlich wiederherzustellen.
  3. Urheberrechts-Protektionismus droht europäische Innovation in Onlinediensten unmöglich zu machen und somit die Kontrolle über die Verteilungswege von Medien an Firmen außerhalb Europas abzugeben. Die Versuche, diese Firmen dann über neue Abgaben und speziell zugeschnittene Steuern zur Kasse zu bitten, schaffen noch mehr Hürden für einheimische Medienstartups – man betrachte nur einmal das spektakuläre Scheitern des Leistungsschutzrechts für Presseverleger in Spanien und Deutschland.
  4. Urheberrechts-Protektionismus droht die Menschen in Europa von neuen Formen der Transformation von Werken auszusperren, die das künstlerische Schaffen der breiten Bevölkerung öffnen und nicht auf diejenigen mit Profitabsicht oder Plattenvertrag beschränken.
  5. Urheberrechts-Protektionismus droht den Zugang zu Europas reichhaltigem kulturellen Erbe immer weiter zu verschließen. Er steht der Digitalisierung von Werken im Weg, Büchereien werden daran gehindert, e-books zu verleihen, Archive scheitern daran Rechteinhaber ausfindig zu machen und neue Verwertungsrechte werden digitalen Kopien von Werken auferlegt, deren Urheberrechtsschutz bereits lange ausgelaufen war.
  6. Urheberrechts-Protektionismus droht in Stein zu meißeln, dass europäische Nutzer*innen den Zugang zu Werken bestenfalls in technisch eingeschränkten Formaten von Firmen mieten können, versehen mit Nutzungsbedingungen, die sie nicht beeinflussen können – anstatt ein Buch oder ein Album zu besitzen, wie es in der Vergangenheit möglich war.
  7. Urheberrechts-Protektionismus droht die einmalige Chance auf noch nie da gewesenen Zugang zu Kultur und Wissen für alle zu verspielen. Chancen für Wissenschaft und Bildung werden dem letztendlich zum Scheitern verurteilten Versuch geopfert, durch Gesetze und technische Beschränkungen die künstliche Verknappung von Bits und Bytes durchzusetzen.

Willst du, dass Geoblocking ein Ende hat?

Würdest du gerne für den Zugang zu Kultur bezahlen, aber wirst daran gehindert, weil bestimmte Onlinedienste in deinem Land nicht verfügbar sind? Wirst du durch Netzsperren daran gehindert, auf Reisen Werke anzusehen, für die du bezahlt hast – durch ein Abonnement oder in Form von Steuern? Ruf deine Abgeordneten im Europaparlament an und fordere sie dazu auf, meinen Bericht zum Urheberrecht zu unterstützen!

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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