Jahrelang arbeitete ich mit Kolleg*innen im Europaparlament an der EU-Urheberrechtsreform – an Verbesserungen, aber vor allem auch daran, das Schlimmste zu verhindern. Über 5.000.000 Unterzeichner*innen machten die Petition gegen Artikel 13 zur größten der EU-Geschichte. Viele Aktivist*innen steckten ihr Herzblut in den Kampf. 200.000 Menschen machten den Protest schließlich auf der Straße unüberhörbar.
Trotz allem ist die Reform durch: Uploadfilter und Leistungsschutzrecht kommen. Was bleibt von unserem Kampf?
Erfolge des Protests
Da die Interessen der Zivilgesellschaft im Gesetzgebungsprozess viel zu wenig beachtet wurden, mussten sich die Menschen in Europa mit E-Mails, Petitionen und Demonstrationen Gehör verschaffen – und das taten sie auch.
Schon im Juli 2018 gelang der Protestbewegung eine Sensation: Die Abgeordneten verweigerten damals, die Position des zuständigen Fachausschusses abzunicken, wie das sonst fast immer der Fall ist. Stattdessen forderten sie Nachbesserungen – sichtlich beeindruckt vom öffentlichen Interesse. Die Petition näherte sich damals gerade der 1-Millionen-Marke.
Leider gingen die Abgeordneten in der Folge faulen Tricks auf den Leim: Axel Voss entfernte lediglich die direkte Referenz auf „Uploadfilter“, das Gesetz erforderte sie aber nach wie vor. Von Seiten der Pro-Lobby wurde erfolgreich das Gerücht gestreut, der Protest sei bloß von US-Konzernen inszeniert: Die Geburtsstunde der Legende von den vielzitierten „Bots“. Mit diesen Methoden wurde erzielt, dass das Parlament im September doch grünes Licht gab.
Zwischen September 2018 und März 2019 gelang es der Protestbewegung, die Zustimmung im Parlament von 62% auf 53% zu senken, also um knapp 10 Prozentpunkte. So spät im Gesetzgebungsprozess ist das beeindruckend. Am Ende fehlten nur einige wenige Stimmen um darüber abzustimmen, Artikel 13 in allerletzter Minute noch aus dem Gesetz zu streichen: Auch das wäre praktisch ohne Präzedenzfall gewesen.
Vor allem in Deutschland führten die massiven Proteste auf der Straße dazu, dass vom Schulhof bis in die Spitzenpolitik plötzlich hitzig über die Details des Urheberrechts diskutiert wurde – alles andere als eine populistische Materie. Jede Menge Kreative – von denen die Befürworter von Artikel 13 ja behaupten, ihnen helfen zu wollen – setzten ihre Kunst für den Protest ein, etwa in Form von Protestsongs und Grafiken.
Eine neuartiges Bündnis aus netzpolitischen NGOs, Parteien und Influencern schaffte es, eine Generation von netzaffinen jungen Leuten zu politisieren und mobilisieren. Unzählige Menschen wuchsen an dieser Herausforderung: Entertainment-YouTuber*innen fanden sich plötzlich in der Rolle von Reporter*innen und politischen Kommentator*innen wieder, aus Internetuser*innen wurden Demo-Organisator*innen, und viele Menschen nahmen an den ersten Protesten ihres Lebens teil. Diese Erfahrungen werden sie noch lange prägen.
Der Protest war so unüberhörbar, dass sich beide Regierungspartner gezwungen sahen, zu beteuern, dass sie das Gesetz wenigstens auf nationaler Ebene entschärfen würden. Eine absurde Idee bei einem Gesetz, das einen „digitalen Binnenmarkt“ in Europa herstellen, also die Gesetzeslage vereinheitlichen soll – aber dennoch ein Eingeständnis, dass unsere Kritik fundiert war, und eine Bestätigung, wie weit wir gekommen sind: Dank unseren Bemühungen kann sich niemand mehr leisten, die politische Verantwortung für Uploadfilter zu tragen. Die anfängliche Arroganz der CDU-Europaabgeordneten wich kleinlauten Zugeständnissen – oder wenigstens Lippenbekenntnissen.
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Verbesserungen am Text
Auch bei den Verhandlungen im Parlament konnte ich gemeinsam mit meinem Team in Detailfragen einiges erreichen:
- Weniger Uploadfilter: Den berüchtigten Artikel 17 (ehemals 13) mit seinen Lizenzierungs- und Uploadfilter-Verpflichtungen konnten wir immerhin auf profitorientierte Plattformen einschränken: Das war im Parlamentsentwurf von Juli 2018 noch nicht der Fall. Auch die Einschränkung auf Dienste, die „auf dem Markt für Online-Inhalte eine wichtige Rolle spielen, indem sie mit anderen Inhaltediensten, wie Audio- und Video-Streamingdiensten, um dieselben Zielgruppen konkurrieren“ ist auf unsere Bemühungen zurückzuführen (obwohl sie leider nur in einem Erwägungsgrund zu finden ist, statt im Artikel selbst).
- Faire Vergütung als Grundsatz: Auch wenn sog. „Total-Buyout-Verträge“ leider am Ende doch nicht verboten wurden, etabliert Artikel 18 immerhin die faire Vergütung von Kulturschaffenden erstmals auf europäischer Ebene als Grundsatz. Die Kommission hatte noch keine derartigen Pläne. Damit wurde eine Forderung aus meinem Urheberrechtsbericht von 2014 umgesetzt.
- Verwertertransparenz: Artikel 19 verpflichtet Verwerter zu Transparenz gegenüber Kulturschaffenden, deren Werke sie vermarkten. Im Trilog gelang uns festzuschreiben, dass das nicht nur auf Anfrage, sondern in Form von regelmäßigen Berichten passieren muss.
- Was frei ist, bleibt frei: Die Richtlinie stellt in Artikel 14 klar, dass eine bloße Digitalisierung eines Werkes, dessen Urheberrecht bereits abgelaufen ist, nicht erneut geschützt ist. Dadurch kann beispielsweise die Wikipedia Fotos von älteren Kunstwerken ohne Bedenken veröffentlichen. Diese Regelung entstammt einem von mir eingereichten Änderungsantrag und wurde ebenfalls bereits im Reda-Bericht gefordert.
- Vergriffene Werke offen zugänglich: Kultureinrichtungen wie Museen und Bibliotheken dürfen nun europaweit Werke, die nicht mehr kommerziell verwertet werden, unabhängig von ihrem Urheberrechtsstatus online verfügbar machen (Artikel 8). Mehrere von der Kommission geplante Einschränkungen dieses Rechts konnten wir in den Verhandlungen entfernen.
- Mindeststandards statt Nivellierung: Für sämtliche neuen Ausnahmen vom Urheberrecht, die in der Richtlinie etabliert werden, gilt: Mitgliedstaaten, die selbst bereits weitergehende Regelungen haben, können diese beibehalten. Diese Bestimmung (Artikel 25) wurde erst im Trilog auf unseren Vorschlag hinzugefügt.
- Parodie überall erlaubt: Artikel 17 Absatz 7 schreibt vor, dass Uploader sich in jedem Mitgliedsstaat auf die Karikatur- und Parodieschranke berufen können. Da eine solche bisher nicht in jedem Land existiert (in Deutschland fehlt sie beispielsweise), wurde somit der Forderung im Reda-Bericht entsprochen, diese Ausnahme europaweit verpflichtend zu machen.
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Es geht weiter
Zwei Jahre haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, die Reform auf nationaler Ebene umzusetzen. Die Richtlinie bietet hier einigen Spielraum – etwa in der konkreten Interpretation der „großen Menge“ an User-Uploads geschützter Inhalte, die eine Plattform haben muss, um unter Artikel 17 (ehemals Artikel 13) zu fallen.
Die Lobby der Rechteverwerter wird sich hier sicherlich für die strengstmögliche Interpretation einsetzen – die Zivilgesellschaft muss hier entgegenhalten, und zwar in allen Mitgliedsstaaten. Bleibt also dran – oder unterstützt zumindest NGOs wie EDRi, die DigiGes und Epicenter.works, die weiter daran arbeiten werden. Auch die Aktivist*innen von SaveTheInternet.info (die die große Petition gestartet hatten) haben schon angekündigt, als Verein aktiv zu bleiben.
Davon abgesehen kämpfen wir weiter für die echte Urheberrechtsreform: Auch nach dieser „Reform“ bleibt das Urheberrecht nämlich europaweit fragmentiert und veraltet. Die dringenden Bedürfnisse, die User*innen in der Konsultation von 2013 massenhaft äußerten, bleiben unerfüllt: So brauchen wir etwa nach wie vor unbedingt eine Urheberrechtsschranke für die heute alltägliche Netz- und Remixkultur. Das Thema ist also alles andere als abgeschlossen.
Meine Botschaft an alle, die mitgemacht haben: Seid stolz darauf, wie weit wir gemeinsam gekommen sind! Wir haben unter Beweis gestellt, dass man gemeinsam viel bewegen kann, wenn man sich organisiert – selbst, wenn es am Ende nicht gereicht hat, um das Gesetz ganz zu kippen. Setzt euch also weiterhin ein! Geht auf jeden Fall wählen bei der Europawahl am 26. Mai (aber wählt nicht die Piraten) – und bleibt generell politisch aktiv!
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.
Welcome Dear Julia
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