Die Schlagzeilen sind leider zu gut, um wahr zu sein. Die EU hat nicht heute das „Ende von Geoblocking“ beschlossen – und auch nicht im November oder gar schon letzten Mai. Schön wär’s.

Drei Minischritte

Tragischerweise werden uns Fehlermeldungen wie „Dieser Inhalt ist in deinem Land nicht verfügbar“ auch nach Inkrafttreten des heute verabschiedeten Gesetzes erhalten bleiben. Sie werden weiterhin europäischen Werken ein pan-europäisches Publikum vorenthalten, und die europäische Wirtschaft Millionen an entgangenen Verkäufen kosten.

Heute sind wir einen von drei zögerlichen Minischritten voran gegangen – bei einem Thema, bei dem wir dringend einen großen Wurf brauchen. Es laufen derzeit drei verschiedene Gesetzesvorhaben, die mit digitalen Grenzbalken zu tun haben, und die oft in den Medien durcheinander gebracht werden:

1. Die Portabilitätsverordnung

Diese Verordnung, die Ende März 2018 in Kraft tritt, gibt dir das Recht, auch im Urlaub auf deinen Netflix-Account zuzugreifen: Das gewohnte Inhaltsangebot eines Video-on-Demand-Dienstes, für den du bezahlst, steht dir künftig auch während kurzzeitigen Auslandsaufenthalten zur Verfügung – was bisher aufgrund restriktiver Lizenzvereinbarungen und Unterschieden im nationalen Urheberrecht meist nicht möglich war.

Jedoch ermöglicht dir dieses Gesetz nicht, ein Abo bei einem Dienst abzuschließen, der in deinem Heimatland gar nicht erst angeboten wird. Netflix wird somit der einzige VoD-Dienst bleiben, der in der gesamten EU angeboten wird – die dutzenden lokalen Konkurrenten werden nationale Inselangebote bleiben.

2. Die „Geoblocking“-Verordnung

Obwohl groß „Geoblocking“ draufsteht, sind in diesem Gesetz Maßnahmen dagegen lediglich in Spuren enthalten. Die heute vom Parlament endgültig verabschiedete Verordnung befasst sich nur mit drei ganz speziellen Fällen von herkunftsbasierter Diskriminierung – und es sind nicht jene, mit denen wir uns am häufigsten konfrontiert sehen:

  1. Rein digitale Dienstleistungen wie Webhosting müssen Kund*innen aus ganz Europa angeboten werden
  2. Dienstleistungen, die an einem bestimmten Ort angeboten werden, wie der Autoverleih im Urlaub, müssen allen gleichermaßen offen stehen
  3. Materielle Güter müssen dir ebenfalls diskriminierungsfrei verkauft werden – aber nur dann, wenn du dir die Abholung im Herkunftsland bei Bedarf selbst organisieren kannst, was in den meisten Fällen kaum eine realistische Option sein wird

Digitale Medieninhalte sind von den Maßnahmen von Vornherein völlig ausgenommen. Außerdem müssen Verkäufer ihre Produkte nicht in dein Land zustellen, und nicht einmal die Preise werden europaweit angeglichen.

Ich habe mich dafür eingesetzt, dieses Gesetz auch auf Medieninhalte auszudehnen. Das Parlament forderte in seiner Verhandlungsposition dann auch, Videospiele, E-Books und Musik (jedoch nicht Videoinhalte) ebenfalls vom Geoblocking zu befreien. Doch am Ende blockierten die Regierungen der Mitgliedsstaaten selbst diesen Teilfortschritt.

Die einzige gute Nachricht: Die Kommission wurde verpflichtet, das Gesetz bis Ende 2020 zu evaluieren. Zu diesem Zeitpunkt wird die Frage der Ausdehnung auf urheberrechtlich geschützte Inhalte erneut behandelt werden – allerdings dann unter einer neuen EU-Kommission und einem neu gewählten Europaparlament.

3. Die Verordnung über Online-Übertragungen

Geoblocking ist auch in den Mediatheken von TV- und Radiostationen weitverbreitet. Beispielsweise können Angehörige der dänischen Minderheit in Norddeutschland nur auf einen kleinen Teil der Medieninhalte in ihrer Muttersprache auf der Website des dänischen Rundfunks zugreifen – und umgekehrt.

Leider beugte sich der Rechtsausschuss des Europaparlaments dem intensiven Lobbydruck der Filmindustrie: Er stimmte gegen jegliche wirksame Verbesserung der Situation und blieb damit noch hinter den Ambitionen der EU-Kommission zurück. Nur für Nachrichteninhalte soll es nach Ansicht des Ausschusses Lockerungen geben – aber selbst da bleiben die vorgeschlagenen Regelungen schwammig.

In einer denkbar knappen Abstimmung schloß sich das Parlament als Ganzes der Position des Ausschusses an. Die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten stehen nun kurz bevor. Kurioserweise ist es hier der Rat, der das sonst oft konsument*innenfreundlichere Parlament zu überzeugen versucht, mehr grenzüberschreitetenden Zugang zu TV- und Radioinhalten zu ermöglichen.

Diese Verhandlungen sind unsere letzte Chance, dem Ziel näherzukommen, digitale Grenzen zwischen EU-Mitgliedsstaaten einzureißen. Wird auch diese Gelegenheit ausgelassen, gibt es erst nach den nächsten Europawahlen im Mai 2019 wieder die Möglichkeit, Europa auch im Netz ein Stück weiter zusammenwachsen zu lassen.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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