Eine neue Studie, die vom Europaparlament in Auftrag gegeben wurde, kommt zum Ergebnis: Das geplante EU-Leistungsschutzrecht ist eine Schnapsidee. Aber möglicherweise erfahren viele Abgeordnete erst von der Studie, nachdem sie über das Leistungsschutzrecht abgestimmt haben!
Das Resultat der Studie:
„Es bestehen ernsthafte Bedenken rund um die ziemlich unklaren Auswirkungen des neuen Rechts. […] Wir [empfehlen], das Leistungsschutzrecht aufzugeben„
Als Gegenvorschlag empfiehlt die Studie, Verlagen die Durchsetzung des Urheberrechts an den von ihnen veröffentlichten Artikeln zu erleichtern. Das ist genau das, was die konservative Abgeordnete Therese Comodini vorgeschlagen hatte, bevor sie die Zuständigkeit für die Urheberrechtsreform im Parlament aufgab und ins maltesische Parlament einzog. Ihr Nachfolger, der CDU-Mann Axel Voss, verwarf ihren Vorschlag prompt und macht sich seitdem für das Leistungsschutzrecht stark, das von dieser Studie nun erneut als grober Fehler entlarvt wird.
Lies die Studie (auf Englisch): Strengthening the Position of Press Publishers and Authors and Performers in the Copyright Directive
Manche Journalist*innen zogen vor, zu schweigen
Die Wissenschaftler*innen baten die größten Zeitungen und die zuständigen Verwertungsgesellschaften in Deutschland und Spanien um Experteninterviews – denn dort hat man bereits Erfahrung mit ähnlichen Gesetzen gesammelt.
Mehrere Zeitungen lehnten die Teilnahme an der Studie ab – der Grund, den manche dafür vorgebracht haben, lässt aufhorchen: „Einige gaben als Grund für ihre Zurückhaltung, offiziell Stellung zu beziehen, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Onlineausgaben […] und ihrem Printverlag an“.
Vor einem Jahr hatte Kommissar Oettinger, auf dessen Mist dieser Gesetzesvorschlag gewachsen ist, Verleger ausdrücklich aufgefordert, die Journalist*innen ihrer Onlineausgaben auf Linie zu bringen, damit die kritische Berichterstattung aufhört.
Dass manche Journalist*innen nun ablehnen, ihre fachliche Einschätzung zu äußern, könnte ein Hinweis sein, dass in manchen Verlagshäusern starker interner Druck herrscht, sich nicht öffentlich kritisch mit dem Leistungsschutzrecht auseinanderzusetzen.
Außerdem kann man sich vorstellen: Hätten sich alle Befragten frei gefühlt, ihre Meinung zu äußern, wäre das Ergebnis der Studie vermutlich noch vernichtender ausgefallen:
Die Ergebnisse der Interviews
1. Keine*r der befragten Herausgeber*innen oder Verleger*innen hält das Leistungsschutzrecht für eine gute Idee
- Ein großer spanischer Verlag meinte, das Recht „könnte unnötig sein“, dass das spanische Leistungsschutzrecht „die Lage für Journalist*innen nicht verbessert hat“ und dass „die spanischen Medien erkannt haben, dass das Gesetz ein Fehler war„.
- Ein weiterer spanischer Verlag betonte, dass „Presseverleger kein zusätzliches geistiges Eigentumsrecht benötigen“.
- Die positivste Einschätzung des Vorschlags von eine*r deutschen Chefredakteur*in lautete: „Möglicherweise könnten Verlage zusätzliche Rechte brauchen, um als Urheber auftreten zu können, aber der EU-Vorschlag scheint weit über das Ziel hinauszuschießen.“
- Einer der größten deutschen Verlage meinte gar, dass das neue Recht negative Auswirkungen auf Verlage habe, weil ihre Zeitung ebenfalls Anreißer von Inhalten anderer Medien wiedergibt, und daher selbst Lizenzen erwerben müsste.
- Das deutsche Leistungsschutzrecht war kontraproduktiv, da es die Marktposition von Google stärkte: „Im Endeffekt wirkt das Leistungsschutzrecht wie ein Monopol-Aufrechterhaltungs-Instrument für Google, während kleine Konkurrenten benachteiligt sind. Das ist das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war“, sagte der/die Chefredakteur*in einer der größten deutschen Zeitungen.
2. Alle befragten Journalist*innen lehnen es kategorisch ab, für Links und die damit verbundenen Anreißer zu bezahlen
- „Kostenpflichtige Verlinkungen wären so absurd wie kostenpflichtige Zitate in der Wissenschaft. […] Im Onlinejournalismus bringen Verweise der verlinkten Quelle oder Person Vorteile. Daher ist es unsinnig, dafür Geld zu verlangen“ sagte ein*e Chefredakteur*in
- “Das Grundprinzip […] ist unsinnig. Die Architektur des Internets sieht vor, dass Links einen Anreißer enthalten, der auf den Inhalt dahinter hinweist. Dass es eine gute Idee wäre, dafür eine Lizenz zu verlangen, ist unvorstellbar” sagte ein*e stellvertretende Chefredakteur*in einer deutschen Zeitung
- „Wenn man der Meinung ist, dass Google eine Monopolstellung hat, dann sollte man das mit den dementsprechenden Gesetzen lösen. Zu argumentieren, man müsse dazu die Architektur des Internets verändern, ist als würde man das Meer trockenlegen, um Piraten zu bekämpfen. […] Unterm Strich wiegt das Interesse der Gesamtgsellschaft schwerer als das der Verleger „, meinte ein*e deutsche*r Chefredakteur*in.
3. Verlage und Aggregatoren warnen vor negativen Auswirkungen auf Startups
- Der spanische Nachrichten-Aggregator Meneame verfügt über „ein Jahresbudget von ca. €100.000“. Ihnen wurden €2,4 Millionen pro Jahr in Rechnung gestellt – die sie offensichtlich nicht zahlen können.
- Ein großer deutscher Verlag nannte den Prozess der Süddeutschen Zeitung gegen das Startup Ubermetrics als Beispiel dafür, wie das Gesetz kleine Mitbewerber vom Markt verdrängt.
4. Alternative Maßnahmen, die die Befragten vorschlugen: In innerbetriebliche Innovationsprojekte zu investieren, moderne Geschäftsmodelle wie jene der Onlinemedien Politico oder Quartz zu studieren, und den Steuersatz für Onlinejournalismus auf jenen gedruckter Zeitungen zu reduzieren.
Fazit
Die Analyse der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema ergab „so gut wie einstimmige Kritik“ am geplanten EU-Leistungsschutzrecht.
Die Studie fand „kaum Beweise dafür, dass schwindende Zeitungsumsätze irgendetwas mit dem Angebot von Nachrichtenportalen oder Suchmaschinen zu tun haben“, auf die das Leistungsschutzrecht abzielt. Das neue Recht könne in der Praxis weitreichender sein als das bestehende Urheberrecht, wodurch sich „Vorbehalte […] in Bezug auf das Recht auf freie Meinungsäußerung“ ergeben.
Links würden durch das Gesetz eingeschränkt: „Es erscheint klar, dass manche Hyperlinks betroffen wären. Das Parlament muss entscheiden, ob in Bezug auf Nachrichteninhalte ‚der Link gerettet werden soll‚.“
Selbst wenn das Leistungsschutzrecht zu Mehreinnahmen für Verlage führen sollte, „wären diese ein Tropfen auf den heißen Stein“ – um den Preis, „das Wesen der Nachrichtenkommunikation zu bedrohen“ und „Innovation und Markteintritt zu gefährden“.
Die Autor*innen der Studie kommen zum Schluss, dass das Leistungsschutzrecht das Ziel der Kommission, die Medienvielfalt zu fördern, nicht erfüllen kann und dass es ein unpassendes und unverhältnismäßiges Werkzeug für die Lizenzierung und Rechtsdurchsetzung von Urheberrechten durch die Verleger ist.
Werden die Abgeordneten davon rechtzeitig erfahren?
Die Wissenschaftler*innen wurden eingeladen, ihre Forschungsergebnisse am 21. November dem Rechtsausschuss des Parlaments vorzustellen – am gleichen Tag, für den aktuell die Abstimmung über die EU-Urheberrechtsreform anberaumt ist. Bleibt es bei diesem Zeitplan, würde die Studie höchstwahrscheinlich direkt nach der Ausschussabstimmung vorgestellt.
Meine Fraktion hat das Sekretariat des Rechtsausschusses gebeten, den Präsentationstermin zu bestätigen. Sollte die Abstimmung weiter verschoben werden – was momentan durchaus wahrscheinlich ist – wollen wir sicherstellen, dass die Präsentation der Studie wie geplant stattfindet und nicht mitverschoben wird, damit die Abgeordneten die Ergebnisse noch rechtzeitig in Erwägung ziehen können.
Überraschenderweise war das Sekretariat nicht bereit, zu bestätigen, dass die Studie den Abgeordneten überhaupt präsentiert wird – obwohl sie ja vom Ausschuss bestellt wurde, um seine Arbeit zu unterstützen!
Es muss Schluss damit sein, dass wissenschaftliche Vorarbeiten in der Debatte über die Urheberrechtsreform ignoriert werden. Es ist Zeit, dem Beachtung zu schenken, was die Parlamentsstudie nun erneut auf den Punkt gebracht hat, und was Wissenschafter*innen bereits seit Monaten sagen:
Das EU-Leistungsschutzrecht ist ein Holzweg. Kleine Änderungen können es auch nicht mehr retten. Tweet this!
Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.
Ich bestätige, daß das Leistungsschutzrecht aus meiner Sicht überflüssig ist. Man sollte auch für Hypertexte, die mit ihrer Quelle verlinkt sind, keine weiteren Quellenangaben verlangen. Dafür soll ausschließlich der verantwortlich sein, der die Quelle in das Internet übertragen hat (nicht der, der die Plattform dafür zur Verfügung stellt).