Die estnische Ratspräsidentschaft hegt Zweifel am Leistungsschutzrecht für Presseverleger in der EU, unterstützt aber im Wesentlichen den Plan, Internet-Plattformen zu Zensurmaschinen zu machen, um Urheberrechtsverstöße zu verhindern, enthüllt ein neuer Leak.

Estland hat derzeit den Vorsitz des Rats der Europäischen Union inne, der die Interessen der Mitgliedstaaten im EU-Gesetzgebungsprozess repräsentiert und sich mit dem Europaparlament über neue Gesetzesvorschläge einigen muss. Von Statewatch veröffentlichte Dokumente geben heute einen seltenen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Debatte im Rat.

Photo: © European Union

Leistungsschutzrecht: Der Rat ist ratlos

Zwei völlig gegensätzliche Vorschläge liegen auf dem Tisch, wie mit der heiß diskutierten Frage weiter verfahren werden soll, ob und wie Presseverleger durch die Urheberrechtsreform gestärkt werden sollen und ob es dazueines eigenen Leistungsschutzrechts bedarf, das zusätzlich zum Urheberrecht der Journalist*innen an ihren Artikeln gelten würde. Ein solcher Angriff auf die Linkfreiheit, der seinen Ursprung im Lobbying weniger großer Zeitungsverlage hat, wird von unabhängigen Experten aus Forschung und Lehre durch die Bank abgelehnt: Das Leistungsschutzrecht sei „unnötig, nicht erstrebenswert und wahrscheinlich aussichtslos„, sowie „ein Eingriff in die Redefreiheit„, heißt es.

Im Europäischen Parlament versuchte die Berichterstatterin Therese Comodini, die Debatte über Presseverlage in sinnvollere Bahnen zu lenken. Kurz nach der Veröffentlichung ihres Berichtsentwurfs wechselte sie jedoch ins nationale Parlament von Malta. Ihr Nachfolger, MdEP Axel Voss von der CDU, verwarf prompt ihre Vorarbeit und versucht stattdessen das Parlament dazu zu bringen, den Kommissionsvorschlag abzunicken.

Die Estländer haben sich allerdings scheinbar von Comodinis „Plan B“ inspirieren lassen:

  • Der erste von zwei Alternativen, die die Ratspräsidentschaft vorlegt, lässt den Kommissionsvorschlag im Wesentlichen intakt. Die einzige Verbesserung ist eine Klarstellung, dass Ausschnitte, die zu kurz sind, um die Schöpfungshöhe zu erreichen und demnach nicht urheberrechtlich geschützt sind, auch keinen Leistungsschutz erhalten können.
  • Die zweite Alternative ähnelt Therese Comodinis Idee, wie man Verleger unterstützen kann, ohne die Funktionsweise des gesamten Internets zu beeinträchtigen: Dieser „Plan B“ würde es Zeitungsverlegern leichter machen, Urheberrechtsverletzungen der von ihnen veröffentlichten Artikel selbständig im Namen der Urheber*innen zu verfolgen, ohne jedoch dazu ein neues Schutzrecht einzuführen. Das würde Kollateralschaden für die Redefreiheit im Internet, die Sichtbarkeit kleiner Verlage sowie das Innovationspotential von Startups im Nachrichtensektor verhindern.

Dass die Ratspräsidentschaft gleich zwei grunverschiedene Kompromisstexte vorgeschlagen hat, ist ein Indiz dafür, wie gespalten die Meinung der Mitgliedsstaaten zum Leistungsschutzrecht sind. Somit ist der Ausgang weiterhin offen, beide Möglichkeiten sind realistisch: unsere Freiheit, selbst kleinste Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln zu teilen, könnte bald stark eingeschränkt werden – oder aber der vernünftige Plan B könnte sich durchsetzen. Wenn ihr bei eurer Regierung zu dem Thema noch nicht nachgefragt habt, ob sie den Plan B im Rat unterstützen werden, ist es jetzt höchste Zeit, damit anzufangen – gerade jetzt in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs.

Zensur-Maschine: Schlimm oder schlimmer?

Die Pläne Estlands für den zweiten Stein des Anstoßes in der Urheberrechtsrichtlinie sind geradezu alarmierend: Artikel 13, auch bekannt als Zensur-Maschine, würde Internet-Plattformen zwingen, alle User-Uploads zu überwachen und urheberrechtlich geschützte Inhalte automatisch zu entfernen. Zwar schlagen die Estländer auch hier zwei alternative Formulierungen vor, sie unterscheiden sich aber nur im Ausmaß der Katastrophe:

  • Die erste Alternative ändert nichts am Grundproblem des Kommissionsvorschlags: Hosting-Provider werden verpflichtet, Inhaltefilter zu installieren, obwohl der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen klargestellt hat, dass solche generellen Filter-Bestimmungen gegen die Grundrechtecharta verstoßen. Die einzig gute Nachricht ist, dass der viel kritisierte Absatz gestrichen wurde, der Hosting-Provider für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer*innen haftbar machen würde, sobald der Provider irgendeine noch so geringe Optimierung der Darstellung von Nutzer-generierten Inhalten vornimmt. Der Kommissionsvorschlag hätte sogar Cloud-Speicherdienste und Backup-Plattformen wie Dropbox für Uploads von User*innen haftbar gemacht, da auch eine alphabetische Sortierung von hochgeladenen Dateien bereits eine „Optimierung“ der Darstellung dieser Inhalte bedeutet. Die vorgeschlagene Variante stellt dann noch klar, dass Inhalte-Filter nur für Webseiten verpflichtend sein sollen, bei denen tatsächlich eine große Zahl unlizenzierte Uploads vorkommt: kaum ein Grund zum Feiern.
  • Die zweite Variante ist sogar noch schlimmer als der Kommissionsvorschlag: die desaströse Haftungsregelung für Hosting-Provider wie Dropbox, die Inhalte algorithmisch zur Anzeige aufbereiten, wird anders als in Option A aus den erklärenden Erwägungsgründen in den rechtlich bindenden Teil des Texts verschoben.

Die Estnische Ratspräsidentschaft macht Hoffnung, dass der Plan der Kommission für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger im Rat noch abgewandt werden kann, wenngleich ihr leider der Mut fehlt, sich konsequent hinter den Plan B zu stellen. Gleichzeitig ist die Unterstützung der Zensur-Maschinen durch die Estnische Ratspräsidentschaft besorgniserregender denn je, da die Mitgliedsstaaten vor die Wahl zwischen zwei Varianten gestellt werden, die beide unmittelbar die Grundrechte von Nutzer*innen verletzen.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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