Günther ist raus, aber der Schaden ist angerichtet

Skandalmagnet Günther Oettinger ist nicht länger für Europas Internet-Gesetzgebung verantwortlich – er wurde zum Haushaltskommissar befördert.

Zum Abschied hinterließ er jedoch Pläne, die die Grundfesten des Internets bedrohen: Links und Uploads. Oettinger ist weg – aber seine von Lobby-Interessen getriebenen Pläne bleiben uns erhalten.

Der Gesetzesentwurf folgt den Forderungen einiger Verlagslobbies, von Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken dafür bezahlt zu werden, dass diese ihnen Leser*innen schicken (Ja, das hast du richtig gelesen) – sowie der Musikindustrie, in ihren Verhandlungen mit YouTube gestützt zu werden.

Oettingers Pläne würden Dinge, die du täglich im Netz tust, und Dienste, die du täglich verwendest, illegal machen, ihnen Gebühren auferlegen oder zumindest große Rechtsunsicherheit hervorrufen.

Noch können wir diese Pläne aufhalten – wenn du deine Abgeordneten im Europäischen Parlament überzeugst, an meiner Seite dagegen zu kämpfen.

Ansonsten könnte all das schon bald illegal sein:

01 Teilen, was vor 20 Jahren passierte


Ausschnitte von Nachrichtenartikeln auf einem Blog oder einer persönlichen Website zu teilen, ohne eine Lizenz vom Verlag einzuholen, wird zu einer Rechtsverletzung – und zwar selbst, wenn der Artikel schon 20 Jahre alt ist.

Die Kommission hat vom EU-Leistungsschutzrecht, das dahinter steckt, keine Ausnahmen vorgesehen: Es gilt auch für kürzeste Text-Schnipsel und auch für Privatpersonen und nichtkommerzielle Zwecke. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob du auf die Quelle verlinkst.

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02 Eine Schlagzeile twittern


„Wir sind Papst“ lautete eine berühmte Schlagzeile der Bild-Zeitung. Ohne Axel Springer Lizenzgebühren zu zahlen, wäre es eine Verletzung des EU-Leistungsschutzrechts, diese Drei-Worte-Schlagzeile zu twittern.

Twitter könnte die Rechnung selbst übernehmen, indem es etwa bei einer Verwertungsgesellschaft eine Pauschal-Lizenz erwirbt, und dadurch seine Nutzer*innen von der Verpflichtung befreit, selbst in Lizenzverhandlungen zu treten. Realistisch scheint das nicht – und dann ist es deine Verantwortung.

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03 Einen Blogbeitrag auf Facebook verlinken

Wenn du auf Facebook, Twitter, Reddit oder anderen Diensten einen Link teilst, wird automatisch ein Vorschaubild und ein Text-Ausschnitt angezeigt. Für die Kopie und Verbreitung dieser Ausschnitte wird in Zukunft eine Lizenz benötigt, wenn der Link zu einem „Presseerzeugnis“ führt. Unter diese Definition fallen explizit auch alle regelmäßig aktualisierten Unterhaltungsangebote.

Wenn Facebook und Twitter nicht anfangen wollen, für Links zu bezahlen, und ihre User*innen vor Klagen schützen wollen, müssten sie diese Vorschaufunktion wohl deaktivieren und damit ihre Seiten weniger benutzerfreundlich (sowie die Links weniger attraktiv) machen.

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04 Ein Foto auf einem Online-Wunschzettel speichern

Virtuelle Pinnwände wie Pinterest erlauben es, Bilder von anderen Webseiten zu speichern und in Sammlungen abzulegen, um etwa eine Einkaufsliste oder einen Wunschzettel zu erstellen – oder einfach, um Inspiration zu sammeln.

Dabei kopieren sie das Bild sowie den Seitentitel und einen Textausschnitt von der Seite, von der das Bild stammt – das wird künftig gegen das EU-Leistungsschutzrecht verstoßen.

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05 Wenn eine Suchmaschine das Netz durchsuchbar macht


Um dir die Suche im Internet zu ermöglichen, muss eine Suchmaschine zuerst alle Internetseiten mit Hilfe eines Roboters „lesen“ und eine Datenbank anlegen, welcher Inhalt wo zu finden ist. Per Definition ist so eine Datenbank nur nützlich, wenn sie Kopien von urheberrechtlich geschütztem Material enthält.

Der neue Plan droht, solche Kopien von Nachrichten ohne Lizenz der Verlage zu verbieten. Diese Kopien auch nur zu speichern, erfordert dann schon eine Lizenz – unabhängig davon, ob dann Ausschnitte der Inhalte in den Suchergebnissen angezeigt werden.

Bing, Google, Seznam.cz und andere müssten also Lizenzen aller journalistischer Internetseiten einholen – oder eine Sammellizenz durch eine dann eventuell gegründete Verwertungsgesellschaft. Andernfalls müssten sie aufhören, Nachrichteninhalte auffindbar zu machen.

Da ein großer Teil der Besucher*innen von Nachrichtenseiten via Google kommt, könnte der Konzern wohl mit einer Gratislizenz rechnen, wenn er sich weigert, zu zahlen – bei kleineren Anbietern sieht das anders aus.

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06 Wenn eine Foto-Website deine Uploads nicht überwacht

FotoCommunity ist ein soziales Netzwerk aus Deutschland, das Fotograf*innen nützen, um Millionen ihrer eigenen Bilder zu teilen.

Nach aktueller Rechtslage muss FotoCommunity reagieren, wenn jemand ihnen meldet, dass ein hochgeladenes Foto gegen Urheberrechte verstößt – im Gegenzug sind sie selbst nicht für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich.

Der Plan der EU-Kommission würde dieses Prinzip auf den Kopf stellen: FotoCommunity ist dann verpflichtet, aktiv und präventativ zu verhindern, dass Bilder, die Rechteinhaber identifiziert haben, auf der Seite erscheinen.

Dazu müssen sie ein System entwickeln, dass alle Uploads überwacht und jedes hochgeladene Bild mit einer Datenbank geschützter Bilder vergleicht. Das ist eine große technische Herausforderung. YouTube hat für ein ähnliches System für Videos nach eigenen Angaben über 60 Millionen US-Dollar investiert.

Noch schlimmer: Das Gesetz verpflichtet sie, jegliche Art von Urheberrechtsverletzung in hochgeladenen Bildern zu erkennen. Es geht also nicht nur um Uploads einer exakten Kopie eines Bildes – ein Foto kann auch gegen Urheberrechte verstoßen, wenn darauf ein anderes Werk abgebildet ist, wie etwa eine Skulptur. Das verlässlich zu erkennen, ist technisch fast unmöglich.

Endgültig unmöglich ist schließlich, automatisch zu erkennen, ob ein Werk, das geschützte Inhalte enthält, gesetzlich dennoch erlaubt ist, weil es sich etwa um eine Parodie handelt. Selbst wenn er Inhalte perfekt erkennen könnte, kann ein Urheberrechtsroboter nie die Rechte von User*innen fair wahren: Völlig legale Inhalte würden automatisch gelöscht werden.

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07 Wenn Github unüberwachte Commits erlaubt

Die Verpflichtung, alle Uploads auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen, trifft alle Dienste, die „große Mengen an Werken“ bereitstellen – nicht nur Fotos.

Da von der EU-Kommission keine Ausnahmen vorgesehen haben, sind auch populäre Dienste betroffen, die ganz und gar nicht für Urheberrechtsverletzungen bekannt sind. Ein Beispiel ist Github, wo Programmier*innen ihre Entwicklungen teilen und mit anderen an Software kollaborieren. Github müsste Upload-Überwachungssoftware bauen, um ein gar nicht vorhandenes Problem zu bekämpfen – spätestens dann, wenn der erste Rechteinhaber einen Anspruch anmeldet.

Europäische Startups wie MuseScore, wo Nutzer*innen Musiknoten teilen, müssen dann ebenfalls Technologien entwickeln, um urheberrechtsgeschützte Melodien zu erkennen. Diese Verpflichtung würde die Existenz vieler Startups bedrohen.

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08 Wenn Wikipedia unüberwachte Beiträge akzeptiert

Die Verpflichtung, alle Uploads auf Urheberrechtsverletzungen zu überwachen, würde nicht nur kommerzielle Seiten und Apps treffen, sondern auch Non-Profit-Projekte wie Wikipedia, obwohl man dort explizit nur Fotos hochladen darf, die frei verwendbar sind.

Auf Wikipedia prüfen zwar Freiwillige neu eingestellte Inhalte in unregelmäßigen Abständen händisch – aber ob dieser unstrukturierte Prozess dem Gesetz genügt, ist zweifelhaft. Es ist wahrscheinlicher, dass auch Wikipedia „wirksame Inhaltserkennungstechniken“ enwickeln müsste.

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09 Deine eigene künstliche Intelligenz trainieren


Okay, vielleicht tust du das heute noch nicht – aber in näherer Zukunft könntest du es vielleicht tun wollen.

Die Art, wie User*innen ihre Rechner dazu bringen, nützliche Aufgaben zu erledigen, verändert sich durch die stetige Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz: Traditionell trägt man einer Maschine eine Aufgabe auf, indem man sie programmiert – also Schritt-für-Schritt-Anweisungen schreibt. Eine KI wird im Gegensatz dazu nicht programmiert, sondern trainiert. Du „zeigst“ ihr eine Menge Daten, die deine Aufgabe abbilden (die Eingaben sowie das erwünschte Resultat), und lässt die Maschine dann quasi selbstständig die dafür notwendigen Schritte herausfinden. Eine KI einzusetzen involviert daher das Kopieren großer Datenmengen – von denen viele urheberrechtlich geschützt sind.

Die Urheberrechtspläne führen zum ersten Mal eine europaweite Erlaubnis (Urheberrechtsschranke) für „Text and Datamining“ ein, also für die automatische Analyse großer Datenmengen – jedoch ausschließlich für „Forschungsorganisationen“ und „für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung“.

Dir wird’s also nicht erlaubt – und auch nicht den unzähligen anderen Hobbyist*innen, Hacker*innen, privaten Forscher*innen, Journalist*innen, gemeinnützigen Unternehmen, NGOs uvm., die wertvolle Beiträge leisten und Entdeckungen machen könnten… oder mit Technologien auch einfach nur spielen und umzugehen lernen wollen.

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+ Nicht betroffen: MegaUpload


Wer von den massiven Einschränkungen für Links und Uploads nicht betroffen ist: Ein Dienst wie MegaUpload, der berüchtigterweise von US-Behörden abgedreht wurde, weil damit angeblich systematisch Urheberrechte verletzt wurden.

Das beweist: Dieses Gesetz zielt nicht auf Seiten ab, die es tatsächlich mit dem Urheberrecht nicht so genau nehmen – die Intention ist schlicht, die Betreiber von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen dazu zu bringen, schwächelnde Player der europäischen Kulturindustrie querzufinanzieren.

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Was du tun kannst

Das Europäische Parlament und der Rat (die Regierungen der Mitgliedsstaaten) haben gerade erst begonnen, Oettingers Pläne zu diskutieren.

Fordere sie auf, das EU-Leistungsschutzrecht (Artikel 11) und die verpflichtende Upload-Überwachung (Artikel 13) abzulehnen:

Kontaktiere deine Abgeordneten direkt Nütze das Mailformular der #SaveTheLink-Kampagne

Betreibst du einen Onlinedienst, der von den Plänen betroffen sein könnte, wie etwa ein Forum oder einen anderen Dienst, der Uploads akzeptiert? Blogge darüber, was diese Vorschläge für dich bedeuten würden, spreche lokale Medien an, oder teil deine Geschichte in den Kommentaren mit uns!

Um mehr zu erfahren, sieh dir unsere englischsprachige Publikation auf Medium an, wo wir kritische Stimmen von vielen Teilhabern versammeln, darunter etwa Mozilla (die Macher von Firefox) und EDRi, die in der EU für deine Rechte im Netz kämpfen.

Und nicht zuletzt: Hilf mit, diesen Artikel zu verbreiten!

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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