Digitale Grenzen innerhalb der EU könnten abgebaut werden, wenn das Urheberrecht europaweit vereinheitlicht wird – wofür sich zuletzt tausende Europäer*innen in einer EU-Konsultation aussprachen. Diese Perspektive versetzt derzeit Rechteverwerter und Urhebervereinigungen in Alarmbereitschaft. Die Anstrengungen, dieses Projekt zu verhindern, haben begonnen.

Derzeit stellt EU-Kommissionspräsident Juncker die neue Kommission zusammen. Im Vorfeld davon wandte sich die deutsche Initiative Urheberrecht mit einem Brief an mehrere deutsche Regierungsmitglieder. Ihr Anliegen: Die Regierung möge verhindern, dass die Verantwortung für das Urheberrecht zukünftig in den Digital- statt in den Wirtschaftsbereich fällt, wie das Juncker dem Vernehmen nach erwägt. Außerdem attackieren sie darin die scheidende Kommissarin Kroes, die für eine Vereinheitlichung und Reform eingetreten ist.

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Das Urheberrecht soll Wirtschaftssache bleiben

Das Urheberrecht würde bei der neuen Kompetenzverteilung „technischen Anforderungen untergeordnet“ werden, behauptet die Initiative Urheberrecht. Umgekehrt gilt aber: Wenn das Urheberrecht einem Wirtschaftsressort zugeordnet bleibt, besteht die Gefahr, dass eine offene digitale Gesellschaft geschäftlichen Interessen untergeordnet wird.

Junckers Idee, einen Vizepräsidentschaftsposten für die digitale Agenda zu schaffen, ist einleuchtend und zeitgemäß. Einst musste das Urheberrecht nur jene wenigen Menschen und vor allem Firmen beschäftigten, die Druckerpressen besaßen – heute hingegen betrifft es jede*n mit Internetzugang im Alltag. Im Namen des Urheberrechtsschutzes wurde in den letzten Jahren u.A. gefordert, Zensurinfrastruktur einzurichten und Nutzer*innen die Kontrolle über ihre technischen Geräte zu nehmen. Das beweist: Die Urheberrechtsdebatte ist Teil der größeren Diskussion über Machtverhältnisse in der Informationsgesellschaft. Der Ausgleich der Interessen von Urheber*innen und Nutzer*innen muss in diesem größeren Rahmen betrachtet werden.

Niemand will das Urheberrecht „technischen Anforderungen unterordnen“ – aber es darf auch nicht möglich gewordenen gesellschaftlichen Fortschritt verhindern. Die Initiative schreibt, die Entfaltung der Informationsgesellschaft beruhe auf Inhalten der Urheber. Dazu zählen aber längst mehr als „ausübende Künstler und Verleger sowie Produzenten und Medienunternehmen“. Die Open-Source-Programmiererin, der videobloggende Teenager, die innovative App-Entwicklerschmiede, die ehrenamtlichen Wikipedia-Autor*Innen – sie alle bringen die Informationsgesellschaft voran, und sie alle können dabei heute vom Urheberrecht gehemmt werden.

Mündig und ohne ständige Angst vor dem Gesetz mit neuen Medien umgehen zu können ist im Informationszeitalter nicht nur ein berechtigtes Interesse, sondern eine Notwendigkeit – die nicht zur Verteidigung alter Geschäftsmodelle eingeschränkt werden darf, sondern vielmehr staatlich verteidigt und unterstützt werden muss.

Das Ziel ist Stillstand

Der triftigste Grund, warum das Urheberrecht aus der Sicht mancher unbedingt weiterhin bei der Binnenmarkt-Direktion bleiben soll, ist aber wohl nicht im Brief erwähnt: Ihr Reformunwillen. Diesen hatte sie in ihrem Whitepaper-Entwurf, der im Frühling geleakt wurde, unter Beweis gestellt. Nur weil andere Direktionen Protest einlegten, wurde das äußerst unambitionierte Papier nicht als offizielle Einschätzung der Kommission veröffentlicht. Da die etablierten Player der Initiative Urheberrecht vom Status Quo am meisten profitieren, ist ihnen die unambitionierteste Direktion natürlich die liebste.

In eine ähnliche Kerbe schlägt indes Creativity Works, eine Vereinigung von Verbänden Kreativschaffender auf Europaebene. Bei kostenlosem Bier und Hotdogs vor dem EU-Parlament wird die Botschaft verbreitet: Wir sind ein essentieller Wirtschaftszweig, lasst uns bloß in Ruhe, sonst passieren schlimme Dinge. Dazu wird auch ein ganz altes Feindbild ausgekramt:

„The only ’new‘ business models proposed are to rely on voluntary donations, private benefactors, brand partnerships, or, in some cases, government hand-outs. This is anything but progress – it’s a return to begging, corporate feudalism or communism.“ —Helienne Lindvall

Mein Team ließ sich nicht nehmen, auf der Hotdog-Lobbyveranstaltung vor dem Parlament auch die Botschaft der Konsultation zu verbreiten: Europäer*innen verlangen eine Harmonisierung und Reform des Urheberrechts. (Flyer ansehen)

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Reformappell von Kommissarin Kroes

Die scheidende EU-Kommissarin Neelie Kroes fand dazu Anfang Juli klare Worte:

„Der EU-Rechtsrahmen für das Urheberrecht ist lückenhaft, unflexibel und oft irrelevant. Er sollte Offenheit, Innovation und Kreativität ankurbeln, und nicht ein Werkzeug der Verhinderung, Limitierung und Kontrolle sein.“

Sie zählte vier Ziele auf, die das Urheberrecht unter einen Hut bringen muss:

  • Kreativität und Innovation fördern
  • Kreativschaffende be- und entlohnen
  • Dem digitalen Handel innerhalb der EU keine Steine in den Weg legen
  • Die Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft und der Nutzer*innen berücksichtigen

Keine allzu radikale Ansicht. Ohne ihren Namen direkt zu nennen, behauptet die Initiative Urheberrecht jedoch in ihrem Brief an die Ministerien, Kroes habe das „Rechtsgebiet Urheberrecht“ generell irrelevant genannt. Doch wer Ziele für etwas aufzählt, kann es ja wohl kaum gleichzeitig für irrelevant halten.

In einem Blogartikel wird der Sprecher der Initiative unsachlich: Die wahre Motivation von Kroes sei vielleicht, „den Netzunternehmen, denen sie mit ihrer Telefonpolitik auf die Füße getreten hat, etwas zurück[zu]geben“, spekuliert er. Die Urheberrechts-Konsultation der Kommission, die eine der bisher höchsten Beteiligungsraten einer Konsultation für die EU-Gesetzgebung überhaupt erzielte, wischt er als „scheindemokratische Alibi-Fragebogenaktion“ vom Tisch.

Kroes sieht hingegen einen klaren Handlungsauftrag:

„Hier in der EU haben wir vorbereitende Arbeiten, Dialoge, öffentliche Konsultationen, rechtliche und wirtschaftliche Studien durchgeführt. Wir haben endlos abgeschätzt, untersucht, analysiert. Jetzt ist es Zeit, zu handeln. Es ist Zeit, zu zeigen, dass Europa die Themen behandeln kann, die Menschen wichtig sind. Von den Roaminggebühren vielleicht abgesehen sind unsere Urheberrechtsregeln möglicherweise das beste Beispiel dafür – das, was normale Bürger*innen am meisten frustriert. Die Sache, die man einfach nicht erklären kann.“

Wenn es nach den Urheberrechts-Lobbys geht, soll das noch lange so bleiben.

Aber nicht überall wehren sich die Lobbys gegen Vereinheitlichung: Der österreichische Verein für Antipiraterie (Größtes Mitglied: Die US-Filmlobby MPAA, die für völlig überzogene Angstmacherei bekannt istäußerte zuletzt Unterstützung für die europaweite Einführung einer ganz bestimmten urheberrechtsbezogenen Maßnahme: Netzsperren.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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